Wie ein Journalist die Bibel erlebt
Ein Buch voller Menschheitsgeschichten
Andreas Malessa, deutscher Radiojournalist, Theologe, Autor und Referent zeigt auf, wie einflussreich die Bibel ist. Ihre Werte seien Grundlage unserer Gesellschaft, ihre Geschichten beschrieben auch unser Erleben.
Sein Vortrag ist Teil des Projekts «Geheimnis Bibel», das von den beiden Landes- und zwei Freikirchen in Wetzikon ZH (Freie evangelische Gemeinde FEG und Freie Christengemeinde Wetzikon FCGW) im März und April 2022 durchgeführt wird.
Eine von Andreas Malessas Töchtern wurde als Teenager in der Schule gemobbt. Die Klassenfahrt nach London versetzte sie daher in höchste Not. Schliesslich entscheidet die Familie, dass sie trotzdem mitgehen soll. Am Abend blinkt Malessas Telefon. «Oh je, das ist unsere Tochter, wir müssen sie abholen!», denkt er. Doch dem ist nicht so. Das Mädchen wurde bei einer nigerianischen Familie einquartiert. Auf ihrem Nachttisch liegt eine Karte, auf der in Deutsch steht: «Und ob ich schon wanderte durchs finstere Tal – du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.» Ihre Gastgeberin hat sie extra für sie besorgt. Diese Zusage berührt und stärkt die unsichere Teenagerin. «Christus ist Mensch gewordenes Wort Gottes. Er hat sie in die Spur gebracht, wie wir es nie konnten – das ist die Überraschung!», sagt der dankbare Vater.
Bibel in Musik, Literatur, Kunst
Seinen Zugang zur Bibel erklärt der 66-Jährige mit einem Bild: «Ich scanne unsere gesellschaftliche Realität und suche nach Samenkörnern und Sämlingen des Wortes Gottes in unserer Gesellschaft.» Da stösst er sowohl in unserer Umgangssprache wie auch in Musik, Literatur, Filmen und Kunst auf biblische Quellen. So sind zum Beispiel Martin Luthers Sprichwörter noch immer in aller Munde: «Perlen nicht vor die Säue werfen», «Die Hände in Unschuld waschen», «Aus dem Herzen keine Mördergrube machen». Die Bilder sind allgemein verständlich. Sie stammen aus der Bibel. Von Tolstoi, Dostojewski über Josef Roth mit seinem «Hiob» bis zu Thrillerautor Dan Brown lassen sich Autoren durch die Bibel inspirieren. Ihre Bücher werden millionenfach gelesen.
Das mit 2,7 Millionen meistverkaufte Reisetagebuch der letzten 40 Jahre beschreibt den Jakobsweg. Hape Kerkeling, schwul, ehemaliger Atheist, schreibt darin: «An diesem Tag ist mir Gott begegnet.»
Kein Denkverbot!
«Die historische Kritik an der Bibel führte zur Bestreitung der Offenbarung Gottes in seinem Wort», stellt der Theologe klar. «Sie behauptet, das Leben Jesu habe keine Bedeutung für das Heil des Menschen, weder im Dies- noch im Jenseits.» Dies generierte katastrophale Folgen.
Doch zu behaupten, die Bibel sei völlig irrtumslos und widerspruchsfrei, sei ebenfalls eine Katastrophe. Etwas, das die Bibel von sich selbst nicht behauptet. Diese Haltung impliziert die Überzeugung: «Gottes Wort ist nur Gottes Wort, wenn die Menschen, die es aufschrieben und abschrieben, keine Fehler machten.» Als Journalist erinnere ihn das an ein Denkverbot. «Ich vertraue der Bibel», stellt Malessa klar. «Ja, sie ist Gottes Wort, in Menschen Mund, in Zeit und Raum.»
Er ist überzeugt, dass sich die Schwächen verschiedener Interpretationen einfach erklären lassen: Jesus hat nichts aufgeschrieben; die 70 Jüngerinnen und Jünger, die mit ihm zogen – die 12 waren nur der innere Kreis –, schrieben auf Hebräisch auf, was sie in Aramäisch hörten; später wurden die Texte ins Griechische übersetzt; Luther übersetzte aus zweien dieser Übersetzungen um 1521 die Bibel in die deutsche Sprache seiner Zeit.
Nehmen wir mal an …
Angenommen, eine japanische Archäologin findet in 500 Jahren unter den Sedimenten in Zürich das Bild eines Teenagers. Darunter steht: «Der Junge schlägt nach seiner Mutter.» Wenn sie das wörtlich übersetzt, erkennt sie ein Familiendrama. «Der Junge schlug seine Mutter!» Das ist jedoch falsch. Es bedeutet, der Junge sieht wie seine Mutter aus und verhält sich wie sie. «Die Archäologin müsste sich also für unsere Kultur und unseren Sprachgebrauch interessieren.» Wie wurde 2022 in der Gesellschaft und am Esstisch geredet? Das wäre eine historisch-kritische Kontextualisierung. Kritisch heisst hier nicht ablehnend, sondern unterscheidend, «kritikon». Gemeint ist also: «Der Junge kommt ganz nach seiner Mutter.»
«Fundamentalisten neigen dazu, das Wortwörtliche für das Gemeinte zu halten. Dem ist aber nicht immer so», hält Malessa fest. «Weil wir die Bibel über einen Transportweg von zwei bis drei Sprachen vorliegen haben. Also müssen wir sie in ihrem Kontext verstehen.»
Trost in grösstem Leid
Als Korrespondent für deutsche Nachrichtensender hat Andreas Malessa Situationen erlebt, die ihn sprachlos machten. Doch er traf auf Menschen, die in grösster Not aus biblischen Geschichten, den Worten Jesu oder der Psalmen Liebe, Stärke, Glaube und Hoffnung schöpften. Sie konnten einander und Mitmenschen trösten. «Biblische Texte transportieren Impulse, Botschaften und Fragen, die zeitlos und universal gültig sind und etwas über Gott und mich aussagen.» Sie sind ein Liebesbrief, kein Polizeiprotokoll. Sie sprechen den Lesenden persönlich an», ist der Journalist und Theologe überzeugt. «Du kommst in der Bibel vor – das ist ein guter Grund, sie zu lesen!»
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Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet / Aktion «Geheimnis Bibel»