Interdisziplinäre Fachtagung
«Der verletzliche Mensch»
An der 4. Interdisziplinären Ittinger Fachtagung in Palliative und Dementia Care, die unter anderem von der Evangelischen Landeskirche im Kanton Thurgau unterstützt wird, referierten am 19. Februar 2022 unterschiedliche Fachleute. Rund 100 Personen, Freiwillige wie Fachpersonen, nahmen am Online-Fortbildungsangebot teil.
Dem verletzlichen Menschen Sorge tragen
Was gibt einem chronisch und schwerkranken Menschen Sicherheit? Was lindert seine Schmerzen und Ängste? Diesen Fragen stellten sich zwei Pflegefachfrauen, die aus ihrem Berufsfeld Antworten lieferten. Anhand eines Fallbeispiels der Familie Müller erklärte Pflegeexpertin Myriam Tong, wie das Zusammenspiel eines interdisziplinären Teams es der Familie ermöglicht, dass der an Demenz erkrankte Herr Müller möglichst lange zu Hause bleiben kann. Auch Frau Müller, von der schwierigen Situation physisch wie psychisch überfordert, erfährt professionelle Unterstützung. «Als aufsuchende Demenzberaterin kläre ich die Familie auch über die Erkrankung und deren Auswirkungen auf», sagte Tong.
«Es soll so viel Autonomie wie möglich gewahrt werden», führte die Leiterin von Palliative Plus, Petra Nef, weiter aus. Fortan wird Familie Müller von Palliative Care Thurgau unterstützt, da Herr Müller nach einem Spitalaufenthalt nach Hause zurückkehren möchte. Dazu wird eine vorausschauende Planung notwendig, die laut Nef nicht zu bürokratisch, sondern ein kommunikativer Prozess sein soll. Dass Herr Müller zu Hause sterben kann, ist das gelingende Zusammenspiel aller interdisziplinären Stellen.
Spiritual Care als Halt
Ein weiterer, wesentlicher Faktor in diesem Team ist die Seelsorge. Karin Kaspers Elekes, Spitalseelsorgerin im Kantonsspital Münsterlingen, und Stefan Wohnlich, Seelsorger in der psychiatrischen Privatklinik Aadorf, erklärten Spiritual Care an einem Fallbeispiel des an Krebs erkrankten Herrn B. «Spiritualität ist dem Menschen tief eigen. Die Suche nach Sinn, nach Halt in einer ausweglosen Situation oder wenn Ängste und Identitätskonflikte auftreten, da kann Spiritual Care hilfreich sein», sagte Kaspers Elekes. Religion sieht sie als Gefäss für Spiritualität.
Wohnlich schilderte die ambulante Situation des Herrn B., die es ihm und seiner Familie ermögicht, die letzten Lebenswochen zu Hause zu verbringen. «Am Schluss des Lebens ist weniger das Tun, sondern mehr das Sein wichtig», so Wohnlich.
Verletzlichkeit annehmen
Moderatorin Christine Luginbühl gab online Fragen direkt an die Fachpersonen weiter und freute sich, Dr. Andreas Schoenenberger mit Ausführungen aus medizinischer-somatischer Sicht zu begrüssen. Der Chefarzt mit Schwerpunkt Geriatrie in Münsterlingen beschrieb, welche Faktoren zu Verletzlichkeit führen können und wie moderne Medizin helfen kann.
Aus Sicht der Medizinethik schaltete sich zum Abschluss des lehrreichen Vormittags Prof. Dr. med. Giovanni Maio aus Freiburg zu. Er plädierte dafür, sich zeitlebens mit der Angewiesenheit auseinanderzusetzen. Ebenso soll auch die Verletzlichkeit als Grunddimension des Lebens angenommen werden.
Zum Thema:
«Spiritual Care» wächst: Spiritualität in den Spitalalltag integrieren
«Spiritual Care» wird wichtiger: Der Glaube ist bei körperlicher Heilung ein wichtiger Faktor
Spiritual Care: Religion und Glaube im Spital – ein holpriger Weg
Autor: Claudia Koch
Quelle: Evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau