Weihnachten weit weg
Von wegen «stille» Nacht…
440 Kilometer trennten Sonya und Ernst Diggelmann vom Zentrum des Taifuns Haiyan in Tacloban. Im November 2013 hatte dieser den Philippinen Tod und Zerstörung gebracht. Wie die Filipinos mit Leid umgehen, beeindruckt das Schweizer Ehepaar.
Böen und Bananenbäume
Die ganze Familie ist dankbar, vom jüngsten Taifun verschont worden zu sein. Zwar hatte es nach starken Windböen und Regenfällen einen Stromausfall und diverse kleinere Wassereinbrüche im Haus gegeben. Viel mehr leiden jedoch die Mangyanen unter den Folgen des Taifuns. Etliche Bananen- und andere Bäume hat der Taifun umgeknickt. Nun müssen wieder neue Nutzpflanzen ausgesät werden. Auch hier packen Sonya und Ernst Diggelmann mit an.
Leiden und lachen
«Ob Wirbelstürme, Erdbeben oder Vulkanausbrüche – Filipinos sind es gewohnt, zu leiden; auch aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit. Trotzdem oder gerade deswegen leben und feiern sie gerne», erklärt Ernst Diggelmann. Die ausgeprägte Festfreude hilft den Menschen, von den schweren Dingen Distanz zu gewinnen. «Mich beeindruckt auch, wie ehrenvoll mit dem Alter umgegangen wird», unterstreicht er. An Weihnachten kommt dies besonders zum Ausdruck, wenn sich alle im Haus der Eltern versammeln.
Eilen und essen
Heiligabend herrscht überall geschäftiges Treiben, die Läden und Kinos haben bis spät abends geöffnet, Weihnachtslieder dudeln aus den Lautsprechern – bereits seit September! Um Mitternacht versammeln sich dann alle zur «Noche Buena», zu einem Festessen mit viel Fleisch, Fisch, chinesischen Nudeln, etwas Früchten und wenig Gemüse. «Ihre Liebsten komplett um den Tisch zu scharen, ist den Filipinos sehr wichtig. Deshalb sind in den Weihnachtstagen Schiffe und Busse zum bersten voll – alles eilt nach Hause», berichtet Ernst Diggelmann. Auch an Weihnachten selber gibt es in jedem Haus zu essen. Jeder, der an die Tür kommt, erhält etwas zu essen, und die Kinder besuchen ihre Paten und Patinnen, um sich ihren Weihnachtsbatzen abzuholen.
Betteln statt arbeiten
Die Grosszügigkeit der Filipinos hat aber auch Schattenseiten. «Um Weihnachten wird leider viel gebettelt», erzählt Sonya Diggelmann. Es lohnt sich für die Menschen aus den Bergen mehr, wochenlang im Flachland betteln zu gehen, als auf den eigenen Feldern zu arbeiten.» Die meisten Leute haben Erbarmen und geben Geld, was dieses negative Verhalten nur fördert. Dennoch schätzen Ernst und Sonya Diggelmann das Land und die Leute, mit denen sie schon so lange zusammenleben und deren Kultur zu ihrer eigenen geworden ist. Das gilt auch für die bevorstehenden Festtage.
Plastik statt Holz
«In den ersten Jahren erhielten wir noch Päckchen mit Tannästen aus der Schweiz. Auch habe ich jedes Jahr einen Adventskranz aus weihnachtlichen Bändern kreiert», sagt Sonya Diggelmann. Dieses Jahr freut sie sich besonders auf ihren zweieinhalbjährigen Enkel Levi und seine Eltern. Was am Weihnachtsfest auf den Tisch kommt, wird spontan entschieden. Tatsache ist jedoch, dass der Christbaum (aus Kunststoff) schon lange bereitsteht. Denn, so erklärt Ernst Diggelmann, «wer hier Anfang Dezember noch keinen Baum hat, wird von den Leuten schief angeschaut.»
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Autor: Manuela Herzog
Quelle: Livenet