Wycliffe beobachtet
Bibelübersetzungen bringen bessere Bildung für Frauen
Weniger Korruption, bessere Bildung für Frauen – eine Bibel in der eigenen Sprache transformiert die Gesellschaft. Inzwischen übersetzen hauptsächlich Einheimische, um ihre Mitmenschen zu erreichen, sagt Peter Wilburg, Leiter von Wycliffe Schweiz.
Peter Wilburg, wie übersetzt man
heute eine Bibel?
Peter Wilburg: Anders als vor 20 oder 30 Jahren.
Mit dem Vorgehen von früher würde es 150 Jahre dauern, bis eine
Bibelübersetzung in jeder Sprache, die noch eine braucht, vorliegen würde. Früher war es oft so, dass Schweizer
oder andere Ausländer mit Einheimischen zusammen an einem Schreibtisch sassen
und übersetzten. Heute machen dies die Einheimischen allein. Wer vom Ausland
kommt, hat oft eine begleitende und beratende Rolle. Es geht um die
Fähigkeiten, die vor Ort fehlen. Es ist auch nicht so, dass jemand hingeht und
dann mit «seiner» Bibel zurückkehrt. Heute sagen die Einheimischen, was sie von
uns brauchen.
Was gleich geblieben ist, sind die drei Prinzipien, was eine gute Übersetzung ausmacht: Sie soll natürlich, verständlich und treu gegenüber dem Urtext sein.
Wie viele Übersetzungen in neue
Sprachen werden im laufenden Jahr durch Wycliffe erstellt?
Weltweit kommen pro Jahr etwa 50
neue Übersetzungen dazu, im vergangenen Jahr waren es sogar 60. Wycliffe
Schweiz selbst begleitet etwa 180 Sprachgruppen auf ihrem Weg zur Bibel. Wichtig ist das Mittragen im Gebet.
Das Ziel ist, dass Transformation und Veränderung geschieht, die nur Gottes
Wort hervorbringen kann. Wir erleben, dass dies passiert. Ein Beispiel:
Gehörlose in der Deutschschweiz haben mit uns Kontakt aufgenommen, denn auch
für ihre Sprache braucht es eine Bibelübersetzung.
Was ist heute mit der laufend besser
werdenden IT-Technologie anders als vor zehn Jahren?
Google Translate wird uns die Arbeit
nicht abnehmen, wenn Sie das meinen. Bei uns geht es um Sprachen mit so
kleinen Sprecherzahlen, dass sie für Google nicht interessant sind. Der Mensch
wird also nicht ersetzt. Anderseits haben wir keine
Berührungsängste zu neuen Technologien. Das bessere Internet gibt einen Schub,
zum Beispiel sind nun Zoom-Sitzungen mit Mitarbeitenden an abgelegenen Orten
einfacher möglich als früher. Vertreter aus verschiedenen Ländern können
gleichzeitig an Texten arbeiten und brauchen kein Visum dazu.
Das Beste ist aber immer noch, vor Ort zu sein und sich in eine Kultur und Sprachgruppe hineinzubegeben. Es geht nicht nur um Texte, die man übersetzt, sondern um Menschen, denen wir dienen und zu denen wir eine Beziehung aufbauen möchten. Das Wort muss immer wieder «Fleisch werden».
Durch neue Technologien nimmt das Tempo
zu – bis wann wird es eine Übersetzung in jeder Sprache geben, die noch eine braucht?
Technologie spielt da eine
untergeordnete Rolle, wichtiger sind angepasste Arbeitsmethodik und
Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern. Eine Schlüsselrolle spielen die
Kirchen vor Ort, denn sie können dafür sorgen, dass übersetzte Texte sofort
gebraucht werden. Bessere Software fördert auch den Gebrauch der Bibel, zum
Beispiel durch den Einsatz von Apps auf den Handys, mit denen Bibelteile
gelesen und gehört werden können.
Bis ins Jahr 2033 soll jeder Mensch mindestens Teile der Bibel in seiner Sprache haben – dieses Ziel wurde gemeinsam von verschiedenen Partnern für die Bibelübersetzung gesteckt. Ob es gelingen wird, kann ich nicht abschätzen. Wir haben es nicht in der Hand! Oft übernehmen einheimische Verbände die Arbeit und Wycliffe-Mitglieder werden nur noch teilweise gebraucht. In Südamerika ist dies zum Beispiel ein grosses Thema. Christen merken, wie wichtig eine Bibelübersetzung ist, um die Menschen im eigenen Land zu erreichen, und sie werden aktiv. Ähnlich in Indonesien: Die einheimische Wycliffe-Organisation teilte uns mit, dass sie genug Mitarbeitende und Finanzen haben, dass sie aber unser Gebet sehr schätzen. Das ist eine gute Entwicklung.
Was bewegt Sie persönlich bei Ihrer
Arbeit besonders?
Wenn ich andere ermutigen und ihnen
meine Begeisterung weitergeben kann. Zu sehen, dass Veränderung auch passiert –
von Gott durch seinen Geist gewirkt. Mir ist wichtig, dass die Botschaft ankommt,
dass die Bibel lebensverändernde Kraft hat und dass sie tatsächlich eine gute
Nachricht für die Armen ist. Zum Beispiel bewirkt eine übersetzte Bibel
langfristig bessere Bildung für Frauen, weniger Korruption und tiefere
Kindersterblichkeit. Diese Tatsachen sind selbst den meisten Christen nicht
bekannt.
Bei allem bleibt im Zentrum, dass Menschen Jesus kennenlernen, weil die Bibel in ihrer Sprache direkt in ihre Herzen spricht. Ohne diesen Schlüssel ist Veränderung schwer möglich. Eine Milliarde Menschen hat keinen Zugang zur Bibel – und im deutschen Sprachraum diskutieren wir über unsere Übersetzungen, von denen es über 50 gibt. Die Menschen, die keine einzige haben, sie haben weder Johannes Kapitel 3, Vers 16 noch Psalm 23. Ist das nicht ungerecht?
Welches ist das nächste
Übersetzungsprojekt von Wycliffe Schweiz, das abgeschlossen wird?
Wahrscheinlich das Neue Testament
auf Safwa in Tansania. Doch wann ist ein Projekt abgeschlossen? Wie gesagt,
eine übersetzte Bibel ist nicht unser Hauptziel: Es geht um die Veränderung im
Leben der Menschen, die durch Bildung und den Gebrauch des übersetzten Wortes
Gottes geschieht. Wir hören sehr ermutigende Zeugnisse von den Gemeinden vor
Ort.
Was war für Sie der Höhepunkt in
2022?
In der Zentralafrikanischen Republik wurden im
Frühjahr 2022 gleich drei Neue Testamente überreicht, Frucht von 25 Jahren
Arbeit. Nun haben unsere einheimischen Partner die Vision übernommen und zu
ihrer eigenen gemacht. Sie planen Übersetzungen in acht weitere Sprachgruppen
in ihrem Land. Die Arbeit geht weiter und neue Entwicklungen sind nicht mehr
von uns abhängig. Das begeistert mich!
Zur Website:
Wycliffe Schweiz
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet