Erziehung

Weichgespülte Kinder

Wer Kinder verwöhnt, verstösst gegen das Gesetz. Dr. Albert Wunsch, ein Pädagoge, schreibt das jedenfalls in seinem Buch «Die Verwöhnungsfalle». Denn laut Gesetz sind alle Erziehungsmassnahmen zum Wohl des Kindes durchzuführen. Doch was heisst das schon – «zum Wohl des Kindes»?

Ein Beispiel: Erikas Tochter Melanie, 13, soll es mal besser haben als ihre Mutter. Deshalb verzichtet die alleinerziehende Erika auf die Ämtli zuhause, die sie als Kind so gehasst hat. Den Vorgarten rechen, die Badewanne putzen und die eigene Wäsche zusammenlegen – das musste damals Erika als Kind alles durchstehen. Ihre Tochter Melanie soll sich nicht abrackern. Sie soll ein glückliches Kind sein.

Keine Verpflichtungen

Doch die Realität sieht etwas anders aus. Meist sitzt Melanie vor dem Computer und chattet auf Facebook mit ihren Freundinnen, die ebenso gelangweilt wie Melanie über Jungs, Musik und neuerdings Schminke schreiben. Verpflichtungen der Mutter gegenüber hat das Mädchen keine. Leitplanken gibt es nur wenige. Wenn sie in den Ausgang will, muss sie regelmässig mit dem Handy anrufen und kann bleiben, so lange sie will. Sie kann auch stets bei Freundinnen übernachten, auch unter der Woche.

Währenddessen übernimmt Erika den ganzen Haushalt, geht arbeiten und kocht abends noch. Dann, wenn es Zeit zum Abendessen wäre, sitzt Melanie für fünf Minuten zur Mutter hin, pickt das Essen vom Teller und verschwindet danach gleich wieder in ihrem Zimmer, ohne der Mutter beim Aufräumen der Küche zu helfen. Als Melanie mit einem unterdurchschnittlichen Zeugnis nach Hause kommt, weint sie und wirft ihre Schulsachen um sich. Sie hasst die Schule. Da muss man was für gute Noten tun.

Verhätschelter Teenager

Als Erika von ihrer besten Freundin darauf angesprochen wird, ist sie erstmal irritiert. Die vorsichtige Kritik hat sie hart getroffen und sie beginnt, ihre Tochter zu beobachten. Resigniert stellt Erika fest, dass Melanie nur ihr eigenes Leben im Kopf hat und ein verhätschelter, verwöhnter Teenager geworden ist.

Eine vertrackte Situation. Albert Wunsch hat einen Ausdruck dafür gefunden: die «Unterforderungsfalle». Wer bei seinen Kindern den «Erziehungs-Schongang» einstellt, muss damit rechnen, dass der Nachwuchs reichlich weichgespült rauskommt. Denn Eltern wie Erika, die kontinuierlich verhindern, dass ihre Kinder gegen Lebenshindernisse prallen, verwöhnen ihr Kind zum perspektivelosen Nesthocker. «Kinder dürfen alles, müssen aber nichts», schreibt Albert Wunsch provokativ in einem Artikel im Web. In diesem Schongang werden sie verhätschelt, bis sie nur noch den einfachen Weg wählen und Hindernisse als störende Akte der Umwelt erleben.

Unterforderungsmodus verhindert gesundes Wachstum

Deshalb warnt Albert Wunsch davor, Kinder zu verwöhnen. Im Unterforderungsmodus werden wichtige Fähigkeiten nicht ausgebildet.

Hier einige Fähigkeiten, die dem verwöhnten Kind fehlen:

  • Interesse und Neugier
  • Auseinandersetzungsbereitschaft
  • Kraft und Ausdauer
  • Eigeninitiative
  • Lebensmut
  • Verantwortung
  • Eigenständigkeit
  • Soziale Kompetenz

Gesundes Wachstum geschieht nur auf einem Weg, auf dem es auch Hürden und Grenzen gibt. Wissen, technische Fähigkeiten und geistige Fitness wachsen nur durch kontinuierliches Arbeiten und Dranbleiben. So kann auch ein seelischer Muskel trainiert werden und fit bleiben. Mit dem Training (Erziehung) wachsen auch die Fähigkeiten, die Kraft und die Ausdauer.

Von Vorbildern geprägt

Eine solche Erziehung setzt aber das konsequente Verhalten der Eltern voraus. Das heisst: Klare Strukturen mit Aufgaben, die jeder in der Familie zu erledigen hat, damit das Kind Verantwortung in der Familie übernimmt. Aber auch eine Begleitung der Eltern, die dem Kind ermöglicht, eigene Erfahrungen zu machen und Frust zulässt. In einer christlichen Erziehung wird das Kind auf sanfte Weise von Vorbildern geprägt und erhält Anhaltspunkte, wie es mit Widerständen und Schwierigkeiten umgehen kann. Doch das muss rechtzeitig geschehen. Wenn die Kinder zu Teenagern werden, wird es schwierig, das Steuer herumzureissen. Dann schnappt die Verwöhnungsfalle ein für allemal zu.


Autor: Iris Muhl
Quelle: Livenet.ch

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