«Oben Ohne»

Wenn das Entscheidende fehlt

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Heisst Christsein eigentlich «seinen Nächsten lieben und eine gute Ethik haben»? Viele denken, dass die Nächstenliebe der Kern des Christentums ist und wundern sich, dass das so schwierig ist. Warum eigentlich?

Rene versucht, eine christliche Ethik einzuhalten und sich an der Bibel zu orientieren. Er ist aktiv in seiner Kirchgemeinde. Er engagiert sich für andere und gibt sich echt Mühe, seine jeweils Nächsten zu lieben. Aber an manchen Tagen fragt er sich, warum das so schwer ist.

Oder nehmen wir Sybille: Sie hält die Bergpredigt für echt wichtig und setzt sich hingebungsvoll für Flüchtlinge und den Klimaschutz ein. Aber auch sie ist oft am Ende des Tages erschöpft und möchte am liebsten einfach mal leben können.

Ist Christsein Ethik?

Rene und Sybille sind zwei Beispiele von Menschen, die das versuchen, was heute die meisten für den Kern des Christentums halten: ein Leben der Nächstenliebe und des Einsatzes für eine bessere Welt zu leben. Sagen nicht alle wichtigen Leute – von Mahatma Gandhi bis zu Hans Küng –, dass die Bergpredigt die Essenz, also der Hauptinhalt des Christentums ist? Oder auf den Punkt gebracht: «Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst», das ist das Wesentliche am christlichen Glauben. Stimmt das eigentlich?

Die entscheidende Verkürzung

Wenn wir gerade diesen Vers in der Bibel nachschlagen, entdecken wir schnell, dass hier etwas passiert ist: Entscheidendes wurde abgeschnitten. Jesus lehrte als die Mitte seiner Botschaft «Liebe Gott von ganzem Herzen, mit allen Kräften und deinem ganzen Denken – und deinen Nächsten, wie dich selbst» (Matthäus-Evangelium, Kapitel 22, Verse 37-40).

Jesus setzte eine ganz klare Priorität: Glaube ist nicht primär eine horizontale, sondern eine vertikale Beziehung. Jesus kam nicht zuerst, um Nächstenliebe zu predigen – das wird auch durch noch so viele Wiederholungen nicht richtiger. Sondern Jesus kam, um uns den Himmel zu öffnen und uns eine direkte Beziehung zu unserem Schöpfer zu ermöglichen. Um es überspitzt zu sagen: Nächstenliebe ohne vorgeschaltete Gottesliebe ist eine mühsame Übung und ebnet das Christentum in eine Religion ein, wie es viele andere auch gibt.  

Exklusive Liebesbeziehung

Es lebt sich schnell «oben ohne». Selbst in Kirchen und Gemeinden versuchen viele, ein christliches Leben ohne eine lebendige Beziehung zu Gott zu leben. Das kann zum mühsamen Krampf werden. Klar: Gott ist nicht einfach «oben», aber er ist auch unsichtbare Realität und will eine exklusive Liebesbeziehung zu uns, wie Jesus das klarmacht: «Von ganzem Herzen, mit allen Kräften und dem ganzen Denken» sollen wir Gott lieben. Gott sucht (altmodisch gesprochen) unser Herz, bevor er unsere Hände und Füsse in Bewegung setzt.

Natürlich drückt sich die Gottesliebe immer in Taten und in aktiver Nächstenliebe (übrigens auch gesunder Selbstliebe) aus. Aber eben: Nur wenn wir diese Gottesbeziehung aktiv und intensiv leben, werden wir zu Agenten der Herrschaft Gottes. Und nur dann wird unsere Seele satt und das Loch in unserem Herzen gefüllt.  

Privatsache?

Früher gab es das Problem, dass «Glaube ohne Werke» blieb, also Christsein leeres, frommes Geschwätz war. Heute ist die Gefahr am anderen Ende: Werke und Taten ja, aber Glaube? Das ist bestenfalls Privatsache. Und so wird Christsein gern zur Ethik, die auch ohne persönliche Gottesbeziehung funktioniert.

Solch eine Gottesbeziehung ist natürlich in dem Sinn Privatsache, dass es hier allein um Gott und mich geht, und keiner von uns kennt das Herz des anderen. Aber man merkt es einem Menschen auf die Dauer an, ob seine Ethik aus dem aktiven Gespräch mit Gott und der bewussten Nachfolge Christi kommt, kurz: ob er «Gott-gesteuert» lebt. Wer Gott über alles liebt, dessen Glaube ist schnell keine Privatsache mehr. Hier werden Quellen erschlossen, die nicht aus menschlichem Wollen und Können stammen. Aber eben, die innerste Mitte des christlichen Glaubens sind nicht die tätigen, sondern die gefalteten Hände.

Veränderung von innen heraus

Die Bergpredigt selbst ist übrigens lange nicht nur «Nächstenliebe». Lesen Sie wieder einmal Matthäus, Kapitel 5 bis 7. Jesus geht mit seinen Worten ziemlich radikal an die Wurzel des Bösen im menschlichen Herzen; die Bergpredigt ruft geradezu nach einer Veränderung von innen heraus, was nur durch eine Berührung Gottes möglich ist.

Die gute Nachricht ist: Der unsichtbare Gott macht sich noch so gern erlebbar. Schuld oder Fehlverhalten muss nicht im Weg stehen, dafür ist längst bezahlt. Es kann DIE Entdeckung eines Lebens sein, wenn Gott uns vom Herrgott zum liebenden Vater wird. Er wurde in Gestalt von Jesus für uns Irdische nahbar, berührbar und erlebbar. Und er ist nur ein Gebet entfernt.

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Datum: 20.11.2021
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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