„Wir sind Brüder“
Ein Jahr nach dem Begegnungstag von Reformierten und Täufern
Am 26. Juni 2004 bezeichnete der Zürcher Kirchenratspräsident Ruedi Reich die Verurteilung, Verfolgung und Vertreibung der Täufer als Verrat am Evangelium und brachte im Grossmünster den Wunsch nach Gemeinschaft zum Ausdruck – ein helles Signal, das jenseits des Atlantiks einiges auslöst.
Der denkwürdige Tag, der unter Mitwirkung von Schweizer Mennoniten vorbereitet worden war, endete mit der Enthüllung der Steinplatte am Limmatufer. Dort, an der Schipfe, waren 1527-32 mehrere Täufer ertränkt worden, weil sie ihren Eid, als Verbannte dem Staat Zürich fernzubleiben, gebrochen hatten.
Bullinger gefeiert – und korrigiert
Zürichs zweiter Reformator Heinrich Bullinger, dessen 500. Geburtstag letztes Jahr begangen wurde, focht mit Worten. Im Bestreben, seiner Zürcher Reformation Respekt zu verschaffen, verurteilte er täuferische Überzeugungen in mehreren Schriften, die europaweit gelesen wurden. Bis ins 18. Jahrhundert bekämpften die Zürcher Pfarrer täuferische Gruppen, namentlich im Oberland. Als vor einem Jahr die Gedenkplatte enthüllt wurde, bat auch der Zürcher Stadtrat Robert Neukomm die Nachfahren der Verfolgten um Verzeihung. 1952 hatte die Stadtregierung ein Memorial noch abgelehnt.
Ein neues Kapitel der Geschichte
Mit dem Begegnungstag haben die Zürcher, Zwinglis Kirche wie der Staat, letztes Jahr ein neues Kapitel in den Beziehungen zum Täufertum aufgeschlagen. Ein düsterer Teil der eigenen Geschichte, der jahrhundertelang verdrängt worden war, kam mitten im Bullingerjahr differenziert zur Sprache.
Auch für die Täufer hat ihre Leidensgeschichte, die 1525 in Zürich begann, „nun ein neues Ende“, wie John E. Sharp, Leiter des Historikerkomitees der UN-Mennoniten formuliert. Im Gespräch mit Livenet sagte er im Frühjahr, dass er weiter überall, wo er könne, von diesem „wunderbaren Ereignis“ erzähle. „Wir haben uns oft zu Hause gefühlt im Emmental, dessen Hügel unseren Landschaften ähnlich sind, aber jetzt, nach diesem 26. Juni, werden wir uns auch in Zürich zu Hause fühlen – ein grosses Geschenk!“
Mennoniten-Historiker: „nun auch in Zürich zu Hause!“
Wenn er Gruppen durch Zürich führe und ihnen das Los der ersten Täufer schildere, könne er nun auf die Platte hinweisen (die die Märtyrer teils mit Namen nennt) und sagen: „Kirche und Staat von Zürich haben unsere Geschichte in die ihre eingeschlossen!“
Sharp sieht damit eine neue Qualität der Beziehungen von Reformierten und Täufern gegeben: „Wir sind Brüder, wir sind – wie der Zürcher Pfarrer Peter Dettwiler fein gesagt hat – Zwillinge. Und eure reformierte Geschichte wird Teil unserer Geschichte. Sie gehört auch uns, und das spüren wir wie nie zuvor.“ Besonders freut den Historiker, dass nun Zürcher Pfarrer und Lehrer ihre Klassen an die Schipfe führen und ihnen anhand der Platte von den Täufern erzählen.
Versöhnung erlaubt kritischen Blick auf die eigene Geschichte
Die Gebets- und Versöhnungskonferenz, die Mennoniten in Pennsylvania im April durchführten, zeigte, dass auch Mennoniten heute ihre Frühgeschichte facettenreich sehen. Die Ungeduld der ersten Täufer und ihr selbstgerechter Bruch mit Zwingli habe zu Einseitigkeiten geführt, hiess es, und zahlreiche weitere Trennungen zur Folge gehabt.
Dieser Einschätzung mag sich John Sharp nicht anschliessen. Zwingli habe Grebel aufgefordert, seine Kinder innert acht Tagen zu taufen oder, falls er auf der Glaubenstaufe beharren wolle, mit Predigen aufzuhören. Grebel habe nicht rebelliert, sondern die Wahl gehabt und sich seiner Überzeugung gemäss entschieden. Sharp verweist auf den Reichtum der täuferischen Tradition. Die Verfolgung habe die Gemeinden geformt und ihnen den Weg gewiesen.
Splitter des Täufertums zusammenfügen
Einen anderen Akzent setzt Lloyd Hoover, der vor einem Jahr ebenfalls in Zürich weilte und im April die erwähnte Konferenz in New Holland bei Harrisburg leitete. Als einer der Bischöfe der Lancaster-Mennoniten in Pennsylvania hat er aufgrund des Zürcher Ereignisses auf Versöhnung unter nebeneinander lebenden und zerstrittenen Täufergruppen (Mennoniten und Amische) hingearbeitet.
Hoover glaubt, dass der Bruch der ersten Täufer mit Zwingli ihrer Fähigkeit, konstruktiv zu streiten, abträglich war. Er spricht von einer Neigung im Täufertum, „sich von Schwierigkeiten und Konflikten nicht positiv formen, sondern auseinanderbringen zu lassen“. Eine Kirche, die sich durch Konflikte hindurch arbeiten könne, gewinne Kraft und werde bereit für Mission, meint Hoover.
Statt Konflikte auszutragen, hätten Täufer regelmässig einen falschen Anschein von Harmonie und Frieden bewahrt. Hoover sehnt sich danach, dass Christen aus allen täuferischen Strömungen einander segnen können. „Es ist lächerlich, wie wenig es braucht, dass wir einander Segen vorenthalten!“
Konferenz der Lancaster-Mennoniten
http://directory.mennoniteusa.org/conference.asp?confID=8
Versöhnungsprozess Täufer-Reformierte
www.anabaptistreconciliation.org/
Historisches Komitee der US-Mennoniten
http://info.mennolink.org/menno.html
Livenet-Berichte von der Konferenz in New Holland
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/154/23384/
Begegnungen von Pfr. Peter Dettwiler mit US-Täufern 2005
http://zh.ref.ch/www.der-nachfolger.ch/content/e1053/BerichtKonferenzFotos.pdf
Livenet-Berichte vom Begegnungstag in Zürich, 26. Juni 2004
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/154/17193/
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch