Welt-Journalist Matthias Heine
«Sprache ist ein Schlachtfeld der Identitätspolitik»
Von «Weihnachtsmarkt» bis «Abtreibung»: Welt-Journalist Matthias Heine hat zusammen mit dem Duden-Verlag heikle Wörter gesammelt und den Streit um sie rekonstruiert. Was darf man eigentlich noch sagen?
Herr Heine, warum braucht die Gesellschaft ein Buch, das
ihr erklärt, welche Worte sie noch benutzen darf und welche nicht?
Matthias Heine: Es geht mir weniger darum, den Leuten zu sagen, was
sie benutzen dürfen und was nicht. Ich möchte vielmehr darüber
aufklären, welche Wörter Kommunikationsstörungen erzeugen können, wenn
man sie arglos benutzt. Wir wissen alle, dass wir nicht mehr «Neger»
oder «Zigeuner» sagen sollten, aber Begriffe wie «Schwarzafrika» oder «gemischtrassig» sind vielen noch gängig.
Sie sagen bewusst nicht «N-Wort»?
Niemand mit klarem Menschenverstand benutzt «Neger» heute noch aktiv.
Gestritten wird eher darüber, ob man das Wort noch in historischen
Quellen oder zitierend verwenden kann. Und da wird es ziemlich irre.
Wieso irre?
Wenn etwa eine Historikerin es in einem wissenschaftlichen Text über
die Kolonialzeit in historischen Quellen permanent durch «N-Wort»
ersetzt, dann grenzt das an Geschichtsfälschung. Und wer glaubt, er
würde das Wort «Neger» nicht mehr schreiben, weil er stattdessen «N-Wort» benutzt, der belügt sich selbst. Natürlich schreiben sie es
weiterhin, nur als Hieroglyphe. Jeder, der das liest, weiss, wofür sie
steht. Im Übrigen zeigt gerade die Umbenennung der Schwarzen in den USA,
wie wir uns, was Sprache angeht, in Symboldebatten verlieren. Aus «Nigger» wurde «Negroe», dann kam «black», gefolgt von «coloured» und
nun heissen sie «People of Colour». Daran, dass es ein massives
Rassismusproblem in der amerikanischen Gesellschaft gibt, hat das alles
nichts geändert.
Das heisst, Astrid Lindgren muss nicht umgeschrieben werden, weil dort das Wort «Neger» vorkommt?
Das würde ich sagen, ja. Mark Twain darf sogar den «Nigger» behalten.
Eltern sollten selbst darüber entscheiden, wie sie damit umgehen. Etwas
anderes ist es, wenn Wörter in Kinderbüchern geändert werden, weil sie
keiner mehr versteht. Ich habe eine alte Ausgabe von «Emil und die
Detektive», da ist noch von der Depositenkasse die Rede. In heutigen
Ausgaben steht dort Sparkasse. Weil das Wort so veraltet ist, dass es
heute kein Kind mehr kennt. Auch Robinson Crusoe liest heute kein Kind
mehr im Original. Ich finde, da darf man durchaus pragmatisch
entscheiden. Keiner dieser Texte ist heilig.
Gibt es heute mehr Sprachtabus als in früheren Zeiten?
Ja, selbstverständlich. Sprache ist ein Schlachtfeld der
Identitätspolitik geworden. Da wird viel symbolisch herumgeschraubt,
nehmen Sie die Debatte rund ums Gendern.
Woher kommt dieser Kampf?
Das hat drei Gründe. Erstens: Gesellschaftliche Gruppen, die in
früheren Jahren noch nicht hörbar waren, wollen heute legitimerweise
darüber mitbestimmen, wie über sie gesprochen wird. Migranten etwa oder
Frauen. Zweitens: Die Linke hat sich nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion als internationale Bewegung gegen Diskriminierung
wiedererfunden. Soweit so gut, aber Diskriminierung ist heute nicht mehr
nur das, was man messen kann, etwa mithilfe des Gender-Pay-Gaps oder
ähnlicher Instrumente. Sondern sie ist immer häufiger eine gefühlte
Diskriminierung – eben auch in der Sprache. Das führt zu einem
inflationären Gebrauch des Begriffs. Drittens: In Deutschland werden
Sprachkämpfe schon immer wie Glaubenskämpfe geführt. Schon früher
glaubte man etwa, die deutsche Sprache würde untergehen, wenn man zu
viele Fremdwörter benutzt. Heute kämpft man eben um andere Wörter.
Rechte Gruppen kritisieren eine linke Sprachdiktatur …
Nervig ist in der Tat manchmal der autoritäre Ton, in dem linke
Gruppen Millionen von Muttersprachlern dazu auffordern, sofort ihre
Sprache umzustellen. Es wird nicht demokratisch oder gesellschaftlich
dafür geworben, bestimmte Worte zu vermeiden. Sondern jeder, der heute
noch Zigeunerschnitzel sagt, ist ein Faschist, der das Leid von Sinti
und Roma herabwürdigt. Das ist natürlich Unfug. Keine Gruppe sollte der
Gesamtheit der deutschen Bevölkerung vorschreiben, welche Wörter sie zu
gebrauchen hat. Auch nicht aus Betroffenheit heraus. Denn wer ist
eigentlich betroffen davon, dass es in Berlin zum Beispiel bis vor
kurzem noch eine Mohrenstrasse gab? Die meisten Menschen, auch wenn sie
schwarz sind, dürften gar nicht realisieren, dass «Mohr» einmal ein
abwertendes Wort für Schwarze war. Insofern ist die Debatte absurd.
Genauso wie die um die Benennung einer Sauce oder eines Schnitzels.
Dennoch benennen Sie in Ihrem Buch Wörter, die besser nicht
mehr benutzt werden sollten. Wo ergibt es in Ihren Augen Sinn, Sprache
einzuschränken?
Zunächst einmal, wenn man mit den so bezeichneten Menschen redet. Das
ist eine Grenze, die die Höflichkeit vorgibt. Wenn jemand nicht so oder
so bezeichnet werden möchte, dann tue ich das auch nicht und ich
spreche ihn auch nicht so an. Ich rede auch nicht so über ihn, wenn er
den Raum verlassen hat. Ich habe auch vollstes Verständnis dafür, dass
Frauen Probleme mit dem Wort «Beziehungstat» oder «Familientragödie»
haben. Es ist ein Euphemismus für den Mord an – zumeist – Frauen oder
Kindern.
Die Liste in Ihrem Buch umfasst 78 Begriffe, darunter «Negerkuss» oder «Zigeuner», die als stark rassistisch wahrgenommen
werden. Aber warum ist es strittig, das Wort Afrika zu benutzen, es ist
doch einfach nur der Name eines Kontinents?
Vor allen Dingen sollten Sie keinen Keks «Afrika» nennen. Es gab vor
einigen Jahren eine Debatte darüber, dass ein Keks der Firma Bahlsen so
hiess. Den Namen für das Produkt gab es freilich schon Jahrzehnte lang,
es hatte nur keiner gemerkt. Dann plötzlich kam der Shitstorm. Und der
Keks wurde umbenannt. Bahlsen wurde damals unterstellt, der Keks hiesse
so, weil er eine Assoziation zwischen der Schokolade darauf und dunkler
Haut herstellen wolle. Eigentlich kam der Name aber daher, dass
afrikanische Länder die Hauptlieferanten von Kakao sind. Vermutlich
wollte Bahlsen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich machen: Wir
verarbeiten echten Kakao. Also eigentlich kein Grund zur Aufregung. Die
Pointe ist aber: Bei den Recherchen stellte ich fest, dass das Wort
Afrika selbst ursprünglich eine sehr rassistische Bedeutung hat. Zu
Zeiten der Römer bezeichnete man eine bestimmte Gegend auf dem Kontinent
als Afrika. Der Begriff war Lateinisch und stand für «raues
Menschenvolk». Und dieser eindeutig rassistische Begriff wird unbefangen
weiterbenutzt, während wir über die absurdesten Wörter streiten.
Das Wort «Abtreibung» findet sich ebenfalls in Ihrem Buch. Es
werde heute nicht mehr so gern verwendet, schreiben Sie.
Schwangerschaftsabbruch klinge technischer und nicht so, als ginge es da
um ein Menschenleben. So macht Sprache Politik, oder?
Es geht immer um Politik. Im Falle des Schwangerschaftsabbruchs will
man durch das Wort das eigentlich sehr brutale Geschehen verschleiern,
um die Betroffenen zu schonen. Aber ich stelle eben auch fest, dass
dieser Begriff das Wort Abtreibung vor allem seit Beginn der Debatten um
eine Legalisierung in den 70er Jahren zunehmend ablöst. Heute ist es
der offiziell anerkannte Terminus.
Sollte Sprache gendersensibel sein?
Ich finde, das sollte jeder privat so machen, wie er möchte.
Allergisch reagiere ich, wenn staatliche Organisationen oder öffentliche
Institutionen es gegen den allgemeinen Bevölkerungswillen durchzusetzen
versuchen, etwa der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk. Ein Sender
bergündete das Gendern jüngst damit, dass er sich intern nach den jungen
Frauen richten wolle, die gerade von der Uni neu in den Beruf kämen.
Aber die Interessen junger Frauen können doch nicht entscheidend für die
Sprachregelungen eines ganzen Senders sein. Wenn man etwas für die
Emanzipation tun will, dann muss man eben mehr Frauen einstellen und
nicht einfach die Sprache verändern. Ich habe zwei Töchter. Wenn ich mit
ihnen über «Erzieher» spreche, dann stellen sie sich keineswegs nur
Männer vor, sondern auch Frauen. Weil es ihrer Lebenserfahrung
entspricht. Wenn das bei Worten wie Manager oder Astronaut anders ist,
dann liegt das daran, dass es davon zu wenige weibliche gibt.
Hat sich Ihre eigene Sprache verändert, seit Sie das Buch geschrieben haben?
Ich benutze zum Beispiel das Wort «Schwarzafrika» nicht mehr, sondern
spreche vom subsaharischen Afrika. Ich halte es für nachvollziehbar
problematisch, einen halben Kontinent über eine Hautfarbe zu definieren.
Sie sagen ja auch nicht Gelbasien und Braunasien. «Gemischtrassig» überlege ich mir auch mittlerweile drei Mal. Wir benutzen ja auch das
Wort «Rasse» nicht mehr. Schwierig finde ich allerdings, dass die
politisch korrekte Alternative «mixed race» eigentlich nur die
Übersetzung ins Englische ist und sich am Sinn gar nichts ändert. Das
kann nicht die Lösung sein.
Darf ich dieses Jahr eigentlich auf den «Weihnachtsmarkt» gehen?
Das dürfen Sie und Sie dürfen das Wort auch sagen. Anders geht es
vielleicht dem Lokalpolitiker in Berlin-Kreuzberg, der sich
unnötigerweise Gedanken darüber macht, ob er damit seine muslimischen
Mitbürger beleidigen könnte. Mein Dönermann zumindest wünscht mir
ebenfalls Frohe Weihnachten. Meine türkischen Nachbarn feiern mit ihren
Kindern sogar Weihnachten. Selbst in der muslimischen Gemeinschaft hat
damit doch kaum einer ein Problem.
Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin.
Zum Thema:
Die Bibel schwarz lesen: Christliche Antwort auf Rassismus
Kommunikative Theologie: Die Macht der Sprache
Birgit Kelle im Talk: Von Sprachregeln, Gender-Politik und «ganz normalem Deutsch»
Autor: Anna Lutz
Quelle: PRO Medienmagazin