Behinderung und Politik
«Schwierigkeiten der Integration liegen in Details»
Simone Leuenberger und Markus Fankhauser treten bei den Paralmentswahlen im Kanton Bern an – beide sind auf den Rollstuhl angewiesen. Das Thema «Behinderung und Politik» liegt ihnen am Herzen. Was ist ihre Motivation und konkrete Anliegen?
Sie treten
beide bei den Parlamentswahlen im Kanton Bern an. Was motiviert Sie, in der
kantonalen Politik mitzuwirken?
Simone Leuenberger (SL): 20 Prozent der Bevölkerung haben gemäss Bundesamt für Statistik eine
Behinderung. Im Grossen Rat sind Menschen mit Behinderung stark untervertreten,
noch stärker als die Frauen. Das muss sich ändern. Überall, wo es um Menschen
mit Behinderung geht, sollen Menschen mit Behinderung auch mitreden. Wir
sollten uns nicht länger nur von Nichtbehinderten vertreten lassen. Die Frauen
lassen auch nicht mehr die Männer für sich sprechen.
Markus Fankhauser (MF): Es ist für mich ein grosses Privileg, dass ich
in diesem Land aufwachsen durfte. Ich liebe es, mich für andere Menschen zu
engagieren. In der Politik habe ich die Möglichkeit gefunden, wie ich trotz
meinen Einschränkungen etwas Positives bewirken kann. Durch meine besondere
Lebensgeschichte und meine juristische Ausbildung kann ich wertvolle
Impulse und Sichtweisen in die politische Lösungssuche einbringen. Als Mensch
mit einer Behinderung weiss ich, was es heisst, Herausforderungen zu überwinden
und für ein Anliegen zu kämpfen.
Fühlen Sie
sich als Menschen mit einer Behinderung in Ihren Anliegen und Bedürfnissen
wahr- und ernstgenommen?
MF: Viele Menschen geben
sich grosse Mühe und sind offen und oftmals bereit, meine Anliegen und
Bedürfnisse ernstzunehmen. Dennoch braucht es in diesem Bereich nach wie vor
noch sehr viel Sensibilisierung der Gesellschaft. Denn bei der Integration von
Behinderten liegen die Schwierigkeiten oftmals in Details, die gesunde Menschen
gar nicht beachten.
SL: Persönlich fühlte ich mich ernstgenommen. Als Lehrerin für Wirtschaft und Recht gehöre ich
dazu. Meine Muskelkrankheit spielt eine Nebenrolle. In der Gesellschaft sind
Menschen mit Behinderung und ihre Anliegen aber leider noch nicht angekommen.
Für welche
Anliegen möchten Sie sich im Bernischen Grossen Rat einsetzen?
SL: Was für Menschen ohne
Behinderung selbstverständlich ist, soll es auch für uns Menschen mit Behinderung
sein. Das gilt für alle Lebensbereiche wie Wohnen, Arbeit, Freizeit, Familie
und unabhängig vom Alter oder der benötigten Unterstützung. Menschen mit
Behinderung müssen überall mitgedacht werden, also zum Beispiel in der
Familienpolitik, in der Bildungspolitik, in der Verkehrspolitik usw. Das
passiert leider heute noch nicht. Dafür will ich mich im Grossen Rat stark
machen.
MF: Mir liegen insbesondere gesellschaftliche Themen am Herzen. Ich
wünsche mir einen Kanton Bern, in welchem alle Menschen in ihrer Würde und
ihrer Gewissensfreiheit respektiert werden. Ich will mich für die Wertschätzung
unseres christlichen Erbes und für gesunde Rahmenbedingungen für ein
harmonisches Zusammenleben einsetzen. Selbstverständlich ist für mich auch die Verbesserung
der Situation von uns Behinderten ein wichtiges Anliegen.
Liegt Ihnen noch etwas anderes auf dem Herzen?
MF: Als
Christen sollten wir unsere Stimme in der Gesellschaft wahrnehmen und uns aktiv
einbringen.
SL: «Du sollst dem Tauben nicht fluchen und sollst vor den Blinden kein
Hindernis legen, denn du sollst dich vor deinem Gott fürchten; ich bin der Herr.» (3. Mose, Kapitel 19, Vers 14) Das sagte Gott bereits zu den Israeliten. Es
gilt genauso für uns heute. Wir sind aufgefordert, Hindernisse wegzuräumen. Wir
sind aufgefordert, eine inklusive Gesellschaft zu bilden. Dazu will ich
beitragen.
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Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet