«Zwielichtiges Vorgehen»

Harsche Kritik der NZZ vor der Abstimmung zur Ehe für alle

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Katharina Fontana, Inlandredaktorin der NZZ, wirft Parlament und Bundesrat vor, die Verfassung auszuhebeln und so den bequemeren Weg an der Verfassungsabstimmung vorbei zu gehen. Das könnte sich irgendwann rächen.

Während die Gegner von Ehe für alle den Akzent in der Diskussion vor allem auf die Erlaubnis der Samenspende für Lesben richten, übt die Journalistin nochmals grundsätzliche Kritik am Vorgehen von Bundesrat und Parlament. Dies, obwohl die Redaktorin persönlich die Ehe für alle unterstützt. Denn die Ehe sei im Grunde eine gute Sache. Im Gegensatz zur Eingetragenen Partnerschaft versprächen sich die Partner damit gegenseitig Treue und Unterstützung.

Das gibt zu denken

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Das Podium der EKS vom Donnerstag zur Ehe für alle
Allerdings: «Die Art und Weise, wie das Bundesparlament hier vorgegangen ist, gibt sehr zu denken», so Fontana in ihrem Kommentar. Sie erinnert daran, dass Parlament und Regierung die Homo-Ehe ursprünglich über eine Änderung der Bundesverfassung einführen wollten. «Doch bald schon war davon nicht mehr die Rede.»

Fontana erinnert sich: «Man könne auch bloss das Gesetz anpassen, hiess es plötzlich. Politisch war das natürlich eine bequeme Lösung, weil die Ehe für alle damit nicht dem obligatorischen Referendum mit dem doppelten Mehr unterstellt werden musste.»

Zwielichtiges Vorgehen

Rechtlich allerdings sei das Vorgehen aber «zwielichtig». Die Redaktorin wirft einen Blick zurück: «Bei der Totalrevision der Bundesverfassung vor zwanzig Jahren wurde die Ehe nämlich klar als 'die Verbindung zwischen Mann und Frau' bezeichnet; dieses Recht erstrecke sich 'weder auf Ehen zwischen Transsexuellen noch auf homosexuelle Ehen', sagte der Bundesrat damals. Auch das Bundesgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass die Ehe die 'Lebensgemeinschaft zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts' ist. Der Verfassungsgeber wollte der traditionellen Ehe also bewusst besonderen Schutz verleihen.»

Den Volkswillen ausgehebelt

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Katharina Fontana
«Kann man diesen Willen heute, zwanzig Jahre später, einfach aushebeln?», lautet die rhetorische Frage von Fontana. Und sie stellt ernüchtert fest: «Man kann, findet das Parlament. Man kann, findet auch der Bundesrat. Er stützt sich dabei auf ein Gutachten des Bundesamts für Justiz, das mit einer fast schon abenteuerlichen Argumentation daherkommt. Der Ehe-Artikel in der Verfassung sei zwar klar auf Mann und Frau zugeschnitten, heisst es im Gutachten, das Parlament könne die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aber auf dem Gesetzesweg einführen. Sei dieser Schritt erst einmal vollzogen, würden die Rechtsprechung und die Lehre nachziehen und den Ehe-Artikel in der Verfassung so auslegen, dass er auch für Homosexuelle gelte. Anders gesagt: Die Ehe für alle wird durch das Gesetz eingeführt in der Absicht, damit die Verfassung zu ändern. Man muss kein Jurist sein, um zu erkennen, dass dies der verkehrte Weg ist.»

Das Diskriminierungsverbot als Vorwand

Das Parlament habe diesen Weg für sich legitimiert, indem es sich auf das verfassungsmässige Diskriminierungsverbot abgestützt habe. Es habe den Ehebegriff so ausgelegt, dass er auch das Bedürfnis von Minderheiten abdecke. Fontana gibt zu bedenken, dass dies Regierung und Parlament unter Druck setzen könnte, schliesslich alle Lebensformen gesetzlich zu legitimieren, so auch Polygamie oder polyamore Lebensgemeinschaften. Und sie resümiert: «Soll sich künftig wirklich jede Minderheit, die zivil heiraten will, auf das Diskriminierungsverbot berufen können?»

Wünsche bleiben offen

Dass im übrigen das zur Abstimmung kommende Gesetz noch längst nicht alle Wünsche der Betroffenen abdeckt, zeigte eine von der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) durchgeführtes Podium am Donnerstagabend in Bern. Darin kritisierte die Luzerner Politikerin Anne-Sophie Morand die Ungleichheit der Behandlung von heterosexuellen und lesbischen Ehepaaren. Denn diese müssten eine Samenbank in der Schweiz in Anspruch nehmen, um dem Gesetz zu genügen, während Heteros die grosse Auswahl von Samenbanken im Ausland zur Verfügung hätten. Und der Zürcher Theologe Michael Braunschweig plädierte für die Anerkennung der Leihmutterschaft.

Zuvor sind allerdings jetzt die «Heteros» an der Reihe. Denn sie werden nach einem Ja zur «Ehe für alle» diskriminiert sein, weil sie nicht die Wahl zwischen der Ehe und einer Art «Ehe light» haben wie die Homosexuellen mit der Eingetragenen Partnerschaft. Affaire à suivre.

Zum Thema:
«Ehe für alle»: Nach einer Ablehnung käme es zum nächsten Anlauf
Marc Jost: «Ich konnte auch in brenzligen Situationen ruhig bleiben»
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Datum: 13.09.2021
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

Kommentare

2) Jedes Kind versteht, dass eine Änderung der Verfassung eine Abstimmung auf Verfassungsebene erfordert, weshalb dieses Vorgehen übelster Missbrauch unserer Institutionen ist. Eigentlich wäre niemand verpflichtet, einen positiven Ausgang der Abstimmung zu respektieren, weil die ganze Übung illegitim ist.
1) Wer mit der Schweizer Politik nicht vertraut ist, wird nicht sofort erfassen, was Frau Fontana mit dem technischen Begriff «obligatorisches Referendum mit doppeltem Mehr» meint. Eine Verfassungsänderung erfordert immer eine zustimmende Mehrheit des Stimmvolkes UND der Kantone (doppeltes Mehr). Weil man offenbar befürchtete, dass konservativ geprägte Kantone ein Kantonsmehr für die Vorlage verhindern könnten (wie auch schon geschehen), verfielen Bundesrat und Parlament auf die Trickserei, gar keine Verfassungsänderung anzusetzen, sondern nur ein neues Gesetz einzuführen, was bei einer Abstimmung nur ein Volksmehr erfordert.

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