Seniorenarbeit
Durch «Umwertung» das Alter würdigen
Wie lässt sich Spiritualität im Altergestalten? Was hat uns der Bestseller «Heidi» heute noch zu sagen? An der Fachtagung der Evangelisch-methodistischen Kirche zur Seniorenarbeit vom letzten Samstag in Aarau gab es überraschende Antworten.
Was Ralph Kunz als hilfreich fürs Alter bezeichnete, kam dem praktischen Theologen auch in Aarau zugut: Kompetenz, Humor, Tiefsinn. Ungeachtet seiner «Jugend» sprach der 45-Jährige aus seiner reichen Erfahrung, unter anderem auch als ehemaliger Altersheim-Seelsorger: «Alle Menschen sind alternd, vom ersten Tag des Lebens an. Es geht um eine Gewichtung: Betonen wir Altern als Prozess oder das Alter als Zustand?» Für den mehrfachen Familienvater ist klar: «Alt werden dürfen ist ein Segen, obwohl es ohne ‹Altersbresten› nicht geht. Das natürliche Sterben ist eigentlich etwas Wunderbares: Einfach sein dürfen, wie ein gesättigtes und gestilltes Kind an der Brust seiner Mutter.» Er plädierte für eine fundamentale Umwertung im Umgang mit Altersfragen und dafür, den Respekt vor der Einmaligkeit des Alters zu behalten.
«Sünder 55+» kehrt um
Die Lebenswürde alter Menschen verdeutlichte Kunz anhand von Johanna Spyris Bestseller «Heidi». Man erinnert sich: Heidi gelingt es durch ihre Natürlichkeit und kindliche Unschuld, dem zornigen und skeptischen Alpöhi, «einem verbockten, sozial isolierten, veritablen Sünder 55+» wieder Leben zu schenken. «Dieser merkt plötzlich: Ich werde gebraucht, entwickelt Fürsorge und Liebe und findet zur Heilung – eine der schönsten Bekehrungsgeschichten.» Heidi ihrerseits lernt in Frankfurt von Klaras Grossmama, wie mit Nöten und Ängsten umgegangen werden kann: «Jeden Augenblick zum lieben Gott hingehen und ihn um das bitten, was wir brauchen.» Zurück auf der Alp, liest Heidi dem Alpöhi die biblische Geschichte vom «Verlorenen Sohn» vor. Kunz ermutigte, «Geschichten der Bibel mit den Geschichten aus dem Leben zusammenwirken zu lassen und so zur eigenen Lebensgeschichte zu finden.»
Den Glauben «wachküssen»
«Im Mittelalter wurde das Leben als Kreis dargestellt: Gott in der Mitte, alles andere drumherum. Seit der Aufklärung wird der Lebenslauf mit Stufen dargestellt, wobei der Abschnitt 35 bis 55 zuoberst platziert ist. Wir haben die ‹Mitte› verloren, finden nicht mehr zum Ursprung zurück», beobachtet Kunz. «Menschen zwischen 35 und 55 sind mit der ‹Rush hour des Lebens› beschäftigt und nehmen sich keine Zeit für ihre religiöse Entwicklung.» Die Religiosität könne einschlafen, von Dornen überwachsen werden. «Oft braucht es einen Prinzen, der uns wachküsst.» Für die am wenigsten erreichte Gruppe der 35- bis 55-Jährigen riet er, neue Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen.
Vom Wert der Umwertung
«Ist Glaube ein Wachstum? Oder starten wir auf dem Höhepunkt, fallen dann ‹dem Herrgott ganz vom Karren›, um uns dann gegen Ende des Lebens wieder auf den Glauben zu besinnen?», fragte Kunz.
Trotzdem: «Religiosität muss im Altern nicht zwingend grösser werden. Jedoch werden alte Leute spiritueller, weil es Wichtigeres als Geld und Karriere gibt.» Das Alter werde etwa auch als «natürliches Kloster» definiert, «weil wir uns von der Theaterbühne des Lebens zurückziehen dürfen, nicht mehr müssen müssen.» Diese bewusste Umwertung, das Bejahen dieses Lebensabschnitts trage letztlich eine grosse Kraft in sich, «im Alter gewisse Fragen und Probleme anders zu lösen, mehr auf Sorgfalt und Bedachtsamkeit zu achten, zur Abhängigkeit Ja sagen zu können». Oder, um es mit der Grossmutter zu sagen: «Wie hat mir dein Vorlesen wohlgetan, Heidi. Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende!»
Diesen Artikel hat uns «Idea Spektrum Schweiz» zur Verfügung gestellt.
Autor: Thomas Feuz
Quelle: ideaSpektrum Schweiz