«Zusammenstoss zweier Reiche»

Vatikan und China erneuern umstrittenen Vertrag

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Der Papst bei der Generalaudienz, Gläubige aus China schwenken eine Flagge (Bild: Vatican News)
Der Vatikan hat die Verlängerung seines Interimsabkommens mit China über die Ernennung von Bischöfen bis 2024 bekannt gegeben. Für die Einen ist das ein Schritt zum Frieden, für Kritiker die Aufgabe der Unabhängigkeit der Kirche.

Der Vertrag beinhaltet, dass der Heilige Stuhl weiterhin Bischöfe anerkennen wird, die einseitig von der Chinesischen Katholischen Patriotischen Vereinigung ernannt wurden, wodurch ein Teil des historischen Konflikts zwischen den beiden Staaten beigelegt wurde.

Spannungen seit 1951

Die Spannungen gehen auf das Jahr 1951 zurück, als Pius XII. zwei von Peking ernannte Bischöfe exkommunizierte und die Regierung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) den apostolischen Nuntius (den Botschafter des Papstes) auswies, der daraufhin nach Taiwan zog.

Im Jahr 2018 einigten sich Papst Franziskus und der chinesische Präsident Xi Jinping darauf, die Situation mit einem Interimsabkommen für zwei Jahre zu entschärfen, das 2020 und nun erneut für zwei Jahre verlängert wurde.

Gegensätzliche Interessen

Sowohl China als auch der Vatikan haben bestimmte Interessen an einer Vereinbarung, die zwar «vorläufig» ist, aber bereits seit vier Jahren besteht und noch mindestens sechs Jahre andauern könnte. Der Vatikan hat Interesse daran, die staatlichen Vorschriften mit dem Standard des Heiligen Stuhls zusammenzubringen.

So wies Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem Interview mit Vatican News darauf hin, dass «es klug und weise erschien, sowohl die von den Behörden des Landes geäusserten Bedürfnisse als auch die Bedürfnisse der katholischen Gemeinden zu berücksichtigen».

Für China bedeutet das Abkommen eine Vereinheitlichung des einheimischen Katholizismus und eine Legitimierung seiner bisher isolierten Patriotischen Kirche, die international als ein weiterer Staatsapparat angesehen wird.

Religion unter der Kontrolle der Partei

Chinas Hauptinteresse ist es, die Religion unter die Kontrolle der Partei zu stellen. Das hat Xi Jinping auf der zweiten nationalen Religionskonferenz im Jahr 2021 deutlich gemacht. Das bedeutet, dass alle Protestanten der von der Partei kontrollierten Drei-Selbst-Kirche beitreten und alle Katholiken sich der Patriotischen Kirche anschliessen sollten.

Der Theologe und Pastor einer evangelischen Kirche in Rom, Leonardo De Chirico, warnte: «Der Vatikan scheint ein Interesse daran zu haben, gute Beziehungen zu China zu unterhalten. Das Problem sind die Kosten dafür. Die chinesische Regierung will das Leben der religiösen Institutionen kontrollieren und die römisch-katholische Kirche ist bereit, sich dieser Bedingung zu unterwerfen.»

«Auf der einen Seite will die chinesische Regierung Rom ihrer Ideologie der Kontrolle unterwerfen, auf der anderen Seite glaubt Rom, dass es China auf lange Sicht zu gemässigteren Positionen bewegen kann. Es ist ein Zusammenprall zweier 'Reiche', die glauben, vom anderen profitieren zu können und den anderen auszunutzen», fügte er hinzu.

In China müssen die fünf Gremien, die im Auftrag der kommunistischen Partei die Religion verwalten – die Drei-Selbst-Kirche für die Protestanten, die Patriotische Kirche für die Katholiken und ähnliche Gremien für Muslime, Buddhisten und Taoisten – sicherstellen, dass das Gedankengut Xi Jinpings und der kommunistischen Partei in allen Gotteshäusern gelehrt wird, ohne dass dabei auf die Religion verwiesen wird.

Ausserdem ist keine missionarische oder expansive Tätigkeit erlaubt, Minderjährige unter 18 Jahren sollen nicht in Religion unterrichtet werden, auch nicht von ihren Eltern, und Religionen sollen langsam bis zu ihrem Untergang begleitet werden.

Alle Brüder – eine «Illusion» des Vatikans?

«Der Preis, den der Vatikan zu zahlen hat, ist immens, denn die Kirche verzichtet auf ihre Unabhängigkeit in ihren internen Angelegenheiten und erklärt sich bereit, die Anweisungen des chinesischen Regimes zu befolgen – ein grundlegender Verstoss gegen die Religionsfreiheit und die Trennung zwischen Kirche und Staat steht auf dem Spiel», warnte der Theologe.

Für Chirico ist der Grund für diesen Kompromisskurs des Vatikans, dass «die Aussenpolitik von Franziskus von der 'Alle Brüder'-Ideologie geprägt ist. Sowohl das 'Dokument der menschlichen Brüderlichkeit für den Weltfrieden und das Zusammenleben' (2019) als auch die Enzyklika 'Fratelli tutti' (Alle Brüder) von 2020 sind die programmatischen Dokumente der heutigen römisch-katholischen Kirche.»

Der italienische Pastor hält fest: «Theologisch gesehen sind die Auswirkungen der Ansicht, dass wir alle Brüder sind, katastrophal. Der Papst besteht darauf, dass wir alle denselben Gott haben und zu demselben Gott beten und dass unsere Unterschiede von geringer Bedeutung sind. Das widerspricht dem evangelischen Glauben, nach dem es zwar einen Gegensatz zwischen dem Gott der Bibel und den Götzen anderer Religionen gibt, Christen aber aufgerufen sind, gute Nachbarn zu sein und in Frieden mit anderen zu leben. Wir sind nur dann 'alle Brüder', wenn wir an Jesus Christus glauben», erklärte De Chirico.

China hat 1,4 Milliarden Einwohner, die römisch-katholische Kirche hat weltweit 1,3 Milliarden Mitglieder. Chirico: «Rom will sich als die einzige globale Institution präsentieren, die in der Lage ist, gute Beziehungen zu allen zu pflegen. Andererseits erkennen die Weltreligionen an, dass der Papst der Anführer ist und damit eine Art 'Primat' anerkennt», fügte er hinzu.

Auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors steht China an 17. Stelle der gefährlichsten Länder der Welt für das Christentum.

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Datum: 16.12.2022
Autor: Jonatan Soriano / Reinhold Scharnowski
Quelle: Evangelical Focus / übersetzt und bearbeitet von Livenet

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