«Jetzt werde ich sie lesen!»
Bibelausstellung in Belarus stösst auf grosses Interesse
Nur wenige Städte in Europa sind so mit der Bibelübersetzung verbunden wie Brest, eine belarussische Stadt an der Grenze zu Polen. Eine Bibelausstellung stiess auf reges Interesse – auch bei Nichtgläubigen. Ein Bericht von Dr. Johannes Reimer.
Brest ist 1'000 Jahre alt und stand im Laufe ihrer Geschichte unter verschiedenen europäischen Herrschern. In der Reformationszeit wurde die Stadt von dem litauischen Grossfürsten Mikolai Radzivill dem Schwarzen (1515-1565) regiert, der zu Reformierten Kirche konvertierte und die zweite protestantische Bibelübersetzung in eine europäische Sprache – Polnisch – in Auftrag gab. Die Brester Bibel wurde 1563 veröffentlicht und bildete die Grundlage für mehrere Bibelübersetzungen in verschiedene osteuropäische Sprachen.
Die belarussische Nationalbibliothek organisierte 2021 gemeinsam mit der regionalen Gorki-Bibliothek in Brest ein Symposium zu Ehren des ausserordentlichen Beitrags zur Bibelübersetzung in die moderne belarussische Sprache und veröffentlichte die Ergebnisse der Konferenz. Die meisten belarussischen Bibelübersetzungen wurden übrigens in Brest und der Region Brest angefertigt. Die Stadt ist tatsächlich eine Stadt der Bibel.
Eine Bibelausstellung in Brest
Im Anschluss an das Symposium organisierte die Regionalbibliothek von Brest, die nach M. Gorki benannt ist, eine Bibelausstellung. Zwischen dem 22. September und dem 24. Oktober dieses Jahres öffnete die Ausstellung ihre Pforten für die breite Bevölkerung von Brest und Umgebung. Mehr als 1'500 Besucher besuchten die Ausstellung, darunter Schulklassen, Studentengruppen, Intellektuelle und einfache Bürger von Brest. Es gab eine spezielle Führung für Gehörlose. Einige Unternehmen organisierten sogar einen Besuch für ihre Mitarbeiter. Alle nahmen einen Nachdruck der Übersetzung des Lukas-Evangeliums von Dziekuc-Malei mit.Meine Frau und ich besuchten die Ausstellung am 22. Oktober, als gerade eine Gruppe von Studenten der philosophischen Fakultät der Universität Brest zusammen mit ihrem Professor durch die Ausstellung ging. Die Begeisterung der Studenten wurde lautstark zum Ausdruck gebracht. Die örtliche Leitung der Bibliothek hatte zusammen mit örtlichen Evangelikalen fünf Bibliotheksmitarbeiter und 40 Freiwillige aus verschiedenen Kirchen der Stadt ausgebildet, die für einen sehr herzlichen Empfang für die Besucher sorgten.
In den ersten Tagen der Ausstellung betrat ein Mann die Halle, sah sich die verschiedenen Stände an, hörte dem Führer aufmerksam zu und sagte anschliessend: «Ich hatte schon immer vor, eines Tages die Bibel zu lesen. Aber aufgrund meines arbeitsreichen Lebens habe ich die Entscheidung immer vor mir hergeschoben. Jetzt, nachdem ich den Vortrag gehört habe, werde ich das Lukasevangelium nicht nur mitnehmen – ich werde es ganz sicher lesen!»
Andere reagierten ähnlich. Viele waren auch fasziniert davon, die erste Seite der Brester Bibel auf einer alten Druckerpresse zu drucken.
Die Bibel – eine Kraft, die ein geteiltes Land eint
Belarus ist ein tief gespaltenes Land. Unterschiedliche politische Überzeugungen haben ein Problem geschaffen, das die belarussische Gesellschaft überwinden muss. Verschiedene Parteien rufen zur Einheit auf, aber typischerweise zur Einheit nach ihren eigenen Ansichten. Die Bibelausstellung in Brest wurde von den Veranstaltern als ein Beitrag zur nationalen Einheit gesehen. Mein persönlicher Beitrag zum erwähnten Symposium trug sogar den Titel: «Die Bibel als Quelle der Transformation der Gesellschaft.»
In der Geschichte des Landes gibt es viele Fälle von Erweckungsbewegungen, die sich im Land ausbreiten, weil die Menschen die Bibel lesen. Geistige Erneuerung ist das, was eine gespaltene Gesellschaft braucht. Parteiliche Lösungen sind selten erfolgreich. Normalerweise vertiefen sie die Kluft und verunsichern noch mehr Menschen. Geistliche Erneuerung hingegen vereint die Menschen um gottgegebene Ideale. Für die Belarussen, eine Nation mit tiefen religiösen Wurzeln, ist dies der einzige Weg zurück zur Einheit. Und die Bibel wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Ich bin den Brester Behörden, die diese Ausstellung ermöglicht haben, zutiefst dankbar. Beten Sie mit für Belarus.
Zum
Autor:
Dr.
Johannes Reimer ist Professor für Mission Studien und Interkulturelle Theologie
and Direktor des Department of Public Engagement der Weltseiten Evangelischen
Allianz (WEA). Er hat mehrere Bücher und zahlreiche Artikel zu
unterschiedlichen Aspekten der Osteuropäischen Geschichte geschrieben.
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Autor: Johannes Reimer
Quelle: Livenet