Gottfried Locher im Interview

«Ich finde Kontroversen gut, auch wenn sie öffentlich sind»

Beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) läuft eine emotionale Debatte über das Thema «Ehe für alle». Am 4. November 2019 entscheidet der Dachverband der Reformierten, ob gleichgeschlechtliche Paare in der Kirche den Ehesegen erhalten sollen oder nicht. Gottfried Locher ist als SEK-Präsident gefordert, durch diesen Entscheidungsprozess zu führen. Im Livenet-Interview sprach er darüber, was ihm dabei wichtig ist.

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Gottfried Locher, Präsident der EKS
Livenet: Gottfried Locher, warum ist es heute so schwierig, Beziehungsformen und Sexualität zu thematisieren, ohne dass es gleich zu einem öffentlichen Aufschrei kommt?
Gottfried Locher:
Sexualität ist wichtig im Leben. Es bewegt die Menschen. Dass die Leute sich mit der Frage beschäftigen, wie die Kirche mit Lebensformen und Beziehungen zwischen den Geschlechtern umgehen soll, finde ich eigentlich ein gutes Zeichen.

Und trotzdem stellt Sie der mediale Umgang mit diesen Themen im Moment vor Schwierigkeiten…
Auf jeden Fall. Das Thema, wen man segnen darf und wen nicht und wie die Homosexualität zu bewerten ist, kommt in der Kirche seit langem immer wieder auf. Dieses Jahr ist es sehr präsent, da man einen gesamtschweizerischen Vorschlag machen will, wie man damit umgehen könnte. Da wir in einer Woche die Abgeordnetenversammlung haben, möchte ich inhaltlich dazu keine Position beziehen. Das ist jetzt Sache der Abgeordneten. Ich konnte mich bereits dazu äussern. Mir liegt viel daran, dass uns etwas glückt, bei dem das konservative und das eher progressive Eheverständnis nebeneinander leben dürfen. Das ist Landeskirche. Denn in der Landeskirche hat es verschiedene Frömmigkeitsstile. Es gibt Leute, die eher pietistisch denken, andere sind eher liberaler unterwegs. Das muss alles Platz haben.

Nach dem Interview mit dem Tages-Anzeiger im Sommer wurde Ihnen vorgeworfen, mit dem, was Sie gesagt haben, eher provoziert und Fronten verstärkt zu haben (Livenet berichtete). Würden sie das Interview wieder so machen?
Es ist wichtig, dass solche Themen an die Oberfläche kommen. Eine Aufgabe meines Amtes ist es mitzuhelfen, dass die Diskussionen, die brodeln, geführt werden. Und deshalb finde ich es entscheidend, dass in dieser Frage ein Interview möglich war. Vielleicht kommen als nächstes – wer weiss – die Burkafrage oder andere Fragen, die uns beschäftigen. Das muss zum Vorschein kommen. Deshalb ist es schon richtig, wenn solche Themen mit gewisser Vehemenz vorwärtsgetrieben werden.

Ihr Anliegen ist es grundsätzlich, die Kirche zu einen und auch in der Ehefrage alle mitzunehmen. Jetzt wehren sich einige aber vehement gegen die Öffnung der Ehe. Haben Sie als SEK-Präsident Befürchtungen, dass diese Diskussionen die Gemeinschaften mehr spalten könnten?
Ich sehe das ganz anders. Wenn irgendwo gestritten wird, dann ist es ein Zeichen, dass es um etwas Wichtiges geht. Das scheue ich nicht. Ich finde Kontroversen gut, auch wenn sie öffentlich sind. Wir müssen aber wieder lernen, miteinander und mit verschiedenen Meinungen umzugehen, nach dem Motto «c'est le ton qui fait la musique». Ich finde es wichtig, nicht auf den Mann oder die Frau zu spielen, sondern sich auf die Sache zu konzentrieren.

Ist es ein Zeichen unserer Zeit, dass mehr auf die Person geschossen wird?
Vielleicht ist es so, dass es ein wenig unsere Zeit ist. Vielleicht hat das mit der Mediengesellschaft zu tun, mit der man das leicht verstärken kann. In diesen Jahren habe ich das kennengelernt und nehme es nicht mehr so persönlich wie auch schon. Klar, man muss die verschiedenen Stimmen hören. Es ist auch die Aufgabe der Medien, diese gegenüberzustellen.

Wie auch immer; jetzt kommt dann die Abgeordnetenversammlung. Wir sind eine demokratisch verfasste Kirche, die dann in aller Ruhe beschliessen kann, was sie will. Die Vorschläge, die wir machen, sind eben nicht konfrontativ. Wir sagen nicht «das Eine gegen das Andere», sondern es muss beides Platz haben. Und die Versammlung soll Ja dazu sagen, dass ein moderneres, progressiveres Eheverständnis und ein konservativeres vereinbar sind.

Die Gewissensfreiheit der Pfarrpersonen soll ja gewährleistet sein, wie der SEK mitgeteilt hat. Bedeutet dies, dass also niemand bei einer kirchlichen Trauung gegen seine persönliche Überzeugung handeln muss?
Das ist in unseren Empfehlungen enthalten, dass man auf jeden Fall die Gewissensfreiheit wahren muss. Nicht Jeder und Jede in unserer Kirche wird Ja sagen können zur grundsätzlichen Stossrichtung, die der SEK beschliessen wird. Deshalb werden wir hier einen gewissen Spielraum offen lassen. Dies ist bei den Landeskirchen anders als bei den Bekenntniskirchen im engeren Sinne, die sagen, wir sind genau so und wer nicht so ist, gehört nicht dazu. Landeskirchen ticken ein wenig anders.

Dieses Interview fand am 28. Oktober 2019 bei Livenet statt und wurde mit Kameras aufgezeichnet. Die Fragen im Gespräch stellte Livenet-Chefredaktor Florian Wüthrich. Weitere Themen des Gesprächs nebst «Ehe für alle» waren die Neuorganisation der reformierten Kirche, die Rolle der Kirche allgemein in der heutigen Zeit und die persönliche Nachfolge. Erfahren Sie mehr hier im Video:

Zum Thema:
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Datum: 01.11.2019
Autor: Annina Morel
Quelle: Livenet

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Herr Locher kommt zwar sympathisch rüber, was aber die Problematik des Nebeneinanders gegensätzlicher Praxen nicht aufhebt. Es können in derselben Organisation nicht zwei gegensätzliche Prinzipien zugleich gelten (ist für die Gemeinde auch nicht so gedacht). Heiratswillige LGBTs werden bei Widerstand des Pfarrers mühelos den Ort ihrer Trauung/Segnung wechseln können, d.h. faktisch wird die Landeskirche die Ehe für alle als herrschendes Prinzip einführen. Die konservative Minderheit ist diesbezüglich bedeutungslos bzw. dient höchstens als Feigenblatt.

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