Kommentar
Hasspredigt oder klare Worte – ein Bremer Pfarrer im Kreuzfeuer
Dass eine Predigt über das Alte Testament und ihre Wahrnehmung länger in den Medien präsent ist, ist in Deutschland die Ausnahme. Olaf Latzels Worte über Gideon, vor allem aber die unterschiedlichen Reaktionen dazu, schlagen immer noch hohe Wellen. Was ist eigentlich geschehen? Und wie ist es zu beurteilen? – Ein Kommentar von Hauke Burgarth
Was ist eigentlich passiert?
Am 18. Januar hielt Pastor Olaf Latzel (47) in der evangelischen Martini-Gemeinde in Bremen eine Predigt über Gideon anhand von Richter 6,25-32. Sein Thema umschrieb er folgendermassen: «An Gideon die Reinigung von den fremden Göttern lernen». Nach der Verbreitung der Predigt übers Internet – und vor allem der Kritik daran – geriet Latzel ins Kreuzfeuer. Viele lehnten seine Botschaft als «Hasspredigt» und «geistige Brandstiftung» ab, viele solidarisierten sich aber auch mit dem Pastor und seinen «klaren Worten». Am 8. Februar gab seine Gemeinde eine Stellungnahme heraus und unterstrich darin: «Vorstand und Gemeinde sind dankbar für die klare, bibelorientierte Wortverkündigung ihres Pastors. Der Vorstand steht geschlossen hinter dem Pastor der Gemeinde.»
Wer an dieser Stelle nicht vorschnell urteilen und eigentlich nur das bestätigt sehen möchte, was er oder sie schon immer gedacht hat, kommt nicht umhin, sich die Predigt einmal selber anzuhören. Denn ganz so einfach ist die Einordnung und Beurteilung von Latzels Aussagen nicht.
Ein Straftatbestand?
Nach der ersten Protestwelle gegen Latzels Predigt (Livenet berichtete) forderte die Bremer Staatsanwaltschaft eine Leseabschrift davon und will prüfen, ob diese den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Dazu müssten Latzels Äusserungen den öffentlichen Frieden nachhaltig stören, gegen religiöse Gruppen zu Hass und Gewalt auffordern und ihre Menschenwürde angreifen. Und zwar so nachhaltig, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit dafür nicht mehr in Anspruch genommen werden kann.
Ich bin kein Jurist. Und ich bin nicht mit allen Äusserungen von Herrn Latzel einverstanden. Trotzdem muss er meiner Meinung nach in unserer Demokratie dasselbe Recht auf freie Meinungsäusserung haben wie andere, ob ich persönlich ihnen jetzt zustimme oder nicht.
Alles anders gemeint?
Wenn man sich die Predigt anhört, dann erscheinen viele Rechtfertigungsversuche dafür doch sehr gekünstelt. Die Äusserungen, die in Bild-Zeitung und Co. zitiert werden, sind eben nicht «aus dem Zusammenhang gerissen». Da redet jemand nicht nur deutlich, sondern derb. Auch die Entschuldigung, das Gesagte wäre ja «nur für die Gemeinde gedacht», leuchtet mir nicht ganz ein. Trotz vielen regelmässigen Besuchern verstehe ich einen Gottesdienst als öffentliche Veranstaltung.Ich denke nicht, dass Olaf Latzel mit seiner Predigt Hass säen wollte. Noch nicht einmal, dass er es – vielleicht unabsichtlich – getan hat. Da gibt es auf dem Markt der Meinungen viel krassere, eindeutigere Wortmeldungen. Allerdings betont er kaum eigene, positive Positionen. In seiner Predigt definiert Latzel seinen Glauben und sein Weltbild praktisch nur über die Abgrenzung vor anderen Ansichten und versucht, diese zu entwerten. Schade. Der christliche Glaube hat hier viel mehr zu bieten als eine Positionierung über Abgrenzung.
Je suis Latzel?
Wirklich verständlich wird der mediale Aufschrei nach der Gideon-Predigt trotzdem nicht. Es ist gerade ein paar Wochen her, dass sich die halbe Welt mit einem gelinde gesagt sehr gewöhnungsbedürftigen französischen Satiremagazin solidarisiert hat. «Je suis Charlie» (Ich bin Charlie) war allgegenwärtig. Der Slogan unterstrich die Meinungsfreiheit für ein Blatt, dass diese immer wieder bis an die Grenzen ausreizte. Gerade vor diesem Hintergrund ist die volle Breitseite der Medienschelte am Bremer Pastor kaum erklärbar. Empören sich hier dieselben, die eben noch eine Lanze dafür gebrochen haben, dass jeder seine Meinung auch einmal pointiert sagen darf?
Und sie ist doch unpassend!
Mein persönliches Fazit ist sehr zweigeteilt. Ich kenne Herrn Latzel nicht und habe nur diese eine Predigt von ihm gehört. Und die Reaktionen darauf scheinen mir überzogen. Vieles an Kritik macht sich gar nicht an Olaf Latzels Aussagen fest, sondern daran, dass Bremen zum Beispiel nicht mehr als «bunt» wahrgenommen werden könnte. Doch zum bunten Äusseren gehört eben auch das Zulassen von Meinungen wie dieser, selbst wenn sie borniert sind.
Auf der anderen Seite empfinde ich, dass viele Verteidiger Latzels zu kurz greifen. Wenn Idea in Deutschland titelt «Was darf man noch predigen?», dann geht das Nachrichtenmagazin am Kern der Auseinandersetzung vorbei. Es geht doch nicht darum, was – auch aus christlicher Sicht – gerade noch vertretbar ist, sondern was gewinnt, ermutigt, vielleicht auch einmal zurechtrückt, aber im Kern immer «Gute Nachricht» bleibt.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet