Die Kirche und die Megatrends II

Der Trend zur Vereinzelung

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Viele Jugendliche, die in der Gemeinde aufgewachsen sind, verlassen die Kirche, wenn sie von zu Hause ausziehen. Das schmerzt. Laut dem Religionssoziologen Jürg Stolz gehört dies zu einem weiteren gesellschaftlichen Trend, dem Trend zur Vereinzelung.

«Die Menschen sind nicht mehr über ihre Familien- und Geschlechtszugehörigkeit zeit ihres Lebens auf eine soziale Schicht, eine Konfession, eine mögliche soziale Rolle, einen fixen Wohnort festgelegt», schreibt der Religionssoziologe Jürg Stolz*. Die persönliche Entwicklung geschieht je länger je weniger innerhalb der angestammten Kreise. Sich selbst werden bedeutet eher, diese zu verlassen. Und dieser Schritt ist nicht mehr eine Frage der Treue im ethischen Sinn.

Kirchen für Vereinzelte

Es wäre aber ein Missverständnis, zu glauben, der Mensch weiche der Gemeinschaft aus. Er ist nach wie vor ein soziales Wesen, sucht Beziehungen und ist bereit, sich in der Gruppe zu engagieren, dies aber in unterschiedlichem Masse und nur so lange, wie es zu seinen Lebensumständen passt.

Vergessen wir nicht: Die Freikirchen haben vor allem Menschen angesprochen, die aus irgendeinem Grund aus ihrer Umgebung herausgelöst, mit ihrer Situation unzufrieden und allein waren. Es waren «vereinzelte» Menschen, die ungeachtet ihrer Geschichte und Herkunft nach Antworten auf Lebensfragen suchten und ihre Spiritualität leben wollten. In der Wachstumsphase der Kirche hat diese Gruppe eine grosse Rolle gespielt. Sie nimmt im Trend zur Vereinzelung wieder zu.

Zu Einzelnen gesandt

Wenn man die Diskussion um die Zukunft in der Kirche verfolgt, bekommt man den Eindruck, dass es vor allem um «die Gemeinde» gehe. Sie müsse gestärkt und aufgebaut werden. Aber der Trend zur Vereinzelung fordert die Kirche heraus, vor allem den Einzelnen, das Individuum wieder zu entdecken. «Menschen in die Nachfolge Jesu führen» – das Missionstatement der Kirche will genau das: Nicht die Sorge um die Gemeinde soll uns leiten, sondern die Bedürfnisse der Menschen in ihrer Vielfalt. Wenn das gelingt, werden die Gemeinden vielfarbiger und das Kommen und Gehen lebhafter werden.

Zum Glauben kommen

«Gott hat unserer Gemeinde im letzten Jahr zwei Familien neu geschenkt», las ich letzthin in einem Gemeindeportrait und habe dabei gedacht: «Unsere Vorfahren in der Kirche haben Gott dafür gedankt, dass Menschen zum Glauben gekommen sind». Wenn «die Gemeinde» im Zentrum unserer Bemühungen bleibt, wird für die «vereinzelten» Menschen wenig Kraft bleiben. Wenn wir uns um den Menschen als Individuum kümmern, wird es immer Gemeinden geben.

* Jörg Stolz, Edmée Ballif: Die Zukunft der Reformierten, TVZ Zürich, 2010,  218 S., Fr. 38.-, ISBN 978-3-290-17556-6


Der grundlegende Text und der Vortrag von Theo Schaad an der Jährlichen Konferenz 2011 sind zu finden auf der Webseite der EMK Schweiz.

Datum: 25.06.2012
Autor: Theo Schaad
Quelle: Kirche und Welt

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