20-Jahr-Jubiläum
«Die Schleife entwickelt sich so, wie Gott führt»
Versöhnungsarbeit als zentrales Anliegen: Wiedertäufer aus den USA und reformierte Pfarrer aus der Schweiz versöhnten sich an der Konferenz «Heile unser Land» der Stiftung Schleife im Mai 2003.
Andreas Keller, die Stiftung Schleife ist aus der Reformierten Kirchgemeinde Winterthur-Seen entstanden. Was bewegte Ihren Vater Geri Keller, mit 60 Jahren einen eigenen Dienst zu gründen?
Andreas Keller: Mein Vater liebte die Arbeit als Landeskirchen-Pfarrer über alles. Gottes Ruf, etwas Neues aufzubauen, kam für ihn überraschend. Er hatte Gottes Stimme gehört: «Jetzt müsst ihr noch einmal aufbrechen.» Geri hatte bereits als Pfarrer zusammen mit seiner Frau Lilo viele zusätzliche Dienste wahrgenommen und unter anderem Seelsorgewochen geleitet. Er hatte seinen Freunden Gottes Auftrag vermittelt, und sie unterstützten ihn beim Aufbau eines neuen Dienstes. Die Schleife war eine natürliche Fortsetzung des Windenkreises, in dem Leiter aus den verschiedenen Diensten der Kirche Seen Leben teilten.
Seit 1992 ist die Schleife von damals zehn Ehepaaren auf gut 200 ehrenamtliche Mitarbeiter angewachsen. Worin liegt das Geheimnis des Wachstums?
Das Geheimnis ist: Nicht Wachstum war für uns Programm, sondern Fruchtbarkeit. Der Dienst in seiner heutigen Grösse ist von selber gewachsen. Wir haben das nicht geplant. Gott hat die nötigen Mitarbeiter geschenkt, die wir brauchten, um alle Dienste abdecken zu können. Das Wachstum war eine Konsequenz unseres Gehorsams. Wir haben heute einen Grundstock von 70 Seelsorgern, die für unsere Gesprächs- und Gebetsangebote zur Verfügung stehen. Festangestellte Mitarbeiter haben wir 24, und wir bilden drei Lernende aus.
Die Räume der Stiftung Schleife wurden fünfmal erweitert. Zweifelten Sie je an Gottes Führung oder glaubten Sie, sich finanziell überschätzt zu haben?
Ein zentraler Wert ist für uns, gemeinsam als Team nach Gottes Willen zu fragen. Wir haben uns im Glauben, dass Gott versorgt, weiterentwickelt, weil wir seine Stimme gehört haben. Gott hat sein Reden mehrfach bestätigt und uns so ein tiefes Urvertrauen in seine Versorgung geschenkt. In den letzten 20 Jahren konnten wir alle Löhne bezahlen und alle Umbauten finanzieren. Gott war immer treu gewesen, und wir mussten nie Schulden machen.
Sie haben die Leitung von Ihrem Vater Geri «geerbt». Wie der Vater, so der Sohn?
Genau genommen stimmt das nicht. Die wenigsten wissen, dass ich die Leitung von meiner Mutter Lilo übernommen habe. Am 10-Jahr-Jubiläum der Stiftung Schleife hatte Geri die Leitung an meine Mutter übergeben. Lilo hatte während sechs Jahren die Hauptverantwortung. 2008 übernahm ich von ihr die Exekutiv-Leitung. Meine Mutter ist eine geradlinige Frau, die in einem geschäftlichen Umfeld aufgewachsen ist. Mein Vater hat ein weites Herz und ist sehr integrierend. Ich selber bin ein Mix aus beiden.
Ihr zentrales Anliegen ist der Seelsorge- und Versöhnungsdienst im Reich Gottes. Warum decken christliche Gemeinden diese Bereiche nur ungenügend ab?
Ich denke, das hat mit dem weit verbreiteten Verständnis von Seelsorge zu tun. Seelsorge wird oft mit «Reparatur» gleichgesetzt. Es ist etwas Lästiges, das nur «Kranke» brauchen und mit dem man lieber nichts zu tun hat. Unser Seelsorge-Verständnis geht von der Neuschöpfung aus, die Realität ist. Im Gebet gehen wir die Blockaden an, die uns hindern, auch wirklich in der Freiheit und Autorität der Söhne und Töchter Gottes zu leben. Seelsorge ist etwas zutiefst Positives. Wir helfen den Menschen dabei, sich selber als Neuschöpfung Gottes zu erkennen, damit sie wissen, wer sie in Gottes Augen sind.
Warum bevorzugen viele Christen Seelsorge in einer neutralen Organisation wie der Schleife?
Ich würde das nicht verallgemeinern. Bei komplexen Themen wie Missbrauch sind die Gebetsteams von Gemeinden oft überfordert. Die Ratsuchenden sind dann froh, wenn sie sich an eine neutrale Organisation wie die Schleife wenden können. Wir haben Spezialisten mit vertieftem Knowhow, wie zum Beispiel Gewalttherapeuten. Wir investieren aber auch viel in die Ausbildung von Gemeinden und rüsten sie so mit einem «Werkzeugkasten» aus, der zum Beispiel bei alltäglichen destruktiven Mustern hilft. Unser Auftrag in der Seelsorge ist ein Dienst am Leib Christi.
Die Schleife ist keine Kirche, und doch konkurrenzieren die Dienstaggottesdienste christliche Lokalgemeinden. Bewusst?
Unsere Gottesdienste sind eben keine Konkurrenz, weil sie am Dienstag und nicht am Sonntag stattfinden. Sie sind ein ergänzendes Angebot zur Ermutigung des Leibes Christi und nicht für Christen ohne Gemeinde gedacht. Die Gottesdienste sind ein neutraler Ort ohne Verpflichtung. Wir werben keine Mitarbeiter, verlangen keinen Zehnten und feiern kein Abendmahl. Gerade das ist für viele, auch für Leiter, ein besonderer Schatz: ein Ort ohne Verpflichtung, um geistlich aufzutanken.
Kritische Stimmen sagen, dass viele Kirchenverletzte in der Schleife Zuflucht finden.
Wissen diese kritischen Stimmen um die vielen Menschen, die wir aufgebaut und versöhnt zurück in die Gemeinden schicken? Jede Gemeinschaft verletzt, auch die Schleife. Wo Menschen zusammenleben, gibt es Verletzungen. Jede Enttäuschung ist doch eine Chance, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln! Unser Auftrag ist nicht, Kirchenverletzte zu sammeln, sondern ein neutraler Ort zu sein, wo man wieder gemeinde- respektive gemeinschaftstauglich wird. In der Schleife wächst oftmals der Hunger nach Gemeinschaft, so dass sich viele «Verletzte» wieder einer Gemeinde anschliessen.
Was verstehen Sie unter prophetischem Gebet, und an wen richtet sich dieses Angebot?
Im prophetischen Gebet nimmt sich ein Team zehn bis fünfzehn Minuten Zeit für eine Person, um Gottes Herz für sie zu hören und sie zu ermutigen, aufzubauen und zu trösten. Das Gebet können Christen und Nichtchristen in Anspruch nehmen. Auch Ungläubige haben eine Sehnsucht zu hören, was Gott empfindet. Für sie kann es ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Glauben sein, wenn sie erleben, dass Gott ihr Herz kennt. Mit dem prophetischen Gebet legen wir einen Samen in Menschen hinein, damit sie das Herz des Vaters kennenlernen.
Lilo Keller hat viele Gemeinden mit ihren Liedern geprägt. Kann die Botschaft mit so einfachen Texten besser vermittelt werden?
Das Evangelium ist im Kern einfach. Eingängige Lieder verstehen auch Kinder. Lieder sind meist ein Spiegelbild des Lebens. Lilo Keller musste Schweres verarbeiten. Als Pfarrfrau litt sie an einer lebensbedrohlichen Depression, weil sie das Gefühl hatte, nicht zu genügen. Ihre Botschaft ist simpel: Jesus rettet und heilt. Die Lieder sind Ausdruck von Lilos Dankbarkeit gegenüber Gott. Sie sollen Menschen in die Anbetung des Lammes führen.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit den Landeskirchen aus?
Wir pflegen eine gute Zusammenarbeit, die für uns bereichernd ist. Wir profitieren von den Reformierten und den Katholiken. Auch zu unserer Gemeinschaft gehören Katholiken. Geri predigt regelmässig bei der katholischen Erneuerungsbewegung. Mit den Landeskirchen haben wir ganz verschiedene Berührungspunkte, zum Beispiel in der Winterthurer Allianz. Ein zentrales Anliegen von Jesus ist, dass wir als Gläubige eins sind. Zentral ist für uns das Gemeinsame und nicht das, was uns trennt.
Warum sind traditionelle Kirchen gegenüber der Stiftung Schleife teilweise sehr kritisch eingestellt?
Es ist verständlich, dass jahrhundertealte Kirchen gegenüber jungen Bewegungen teils eher kritisch eingestellt sind. Dafür braucht es keine Rechtfertigung. Und die Schleife ist mit 20 Jahren noch sehr jung. Das Unbekannte kann bedrohlich wirken. Wenn wir uns aber aufmachen, dieses Unbekannte kennenzulernen, können wir die eigene Meinung revidieren. Wer also Mühe hat mit der Schleife, ist herzlich eingeladen, herauszufinden, wie wir «ticken».
In welche Richtung entwickelt sich die Schleife in den nächsten 20 Jahren?
Die Schleife entwickelt sich so, wie Gott uns führt. Gottes Stimme ist für uns Weisung und Programm. Unsere Pflicht ist es, auf Gott zu hören und seine Weisung umzusetzen. Wir möchten mithelfen, Geburtshelfer zu sein für das, was Gott auf dem Herzen liegt. Ein Brennpunkt, wo wir uns sicher weiter investieren werden, ist die Thematik «Familie und Kinder». Unsere Schleife-Gemeinschaft wird sich weiterentwickeln und ihre DNA in viele Orte und Gesellschaftsbereiche hineintragen. Säulen, auf die wir unseren Dienst auch in Zukunft aufbauen, sind Anbetung, Leben teilen, Verbindlichkeit sowie die Gebetsgemeinschaft mit Gott.
Stiftung Schleife
Die Stiftung Schleife in Winterthur wurde 1992 gegründet. Sie will kirchliche Gemeinden aller Denominationen, christliche Werke und andere Gruppen in ihrer praktischen und geistlichen Entwicklung fördern und unterstützen. Die Stiftung engagiert sich in Bereichen wie Seelsorge, Prophetie, Leiterschaft und Coaching, Kinder- und Jugendarbeit, Musik und Kunst. Die Jubiläumskonferenz findet vom 15. bis 17. Juni auf dem Schleife-Areal statt mit Referaten, Gesprächs-, Begegnungs- und Gebetsoasen sowie einer Ausstellung. Anmeldung erwünscht. Am 18. Juni findet ein Leitertag mit Roundtable statt
Höhepunkte und ein «sturmsicheres» Jubiläum
Welches Ereignis war der Höhepunkt der letzten 20 Jahre?
Andreas Keller: Da gibt es eine ganze Menge. Ein Höhepunkt war sicher die Versöhnung der reformierten Kirche mit den Wiedertäufern sowie die Täuferkonferenz im Jahr 2003. Die Versöhnungsarbeit liegt uns wirklich auf dem Herzen. Die Levitencamps 2001 und 2005 haben der Anbetungsszene neue Impulse gebracht. Und die Bauernkonferenzen haben zu einer regionalen Gebetsvernetzung der Bauern geführt. Alle diese äusseren Höhepunkte wären nicht komplett ohne innerliche Höhepunkte: veränderte Menschen, wiederhergestellte Familien, Geschäftsleute mit einer neuen Vision und so weiter.
Das 20-Jahr-Jubiläum vom kommenden Wochenende steht unter dem Thema «Sturmsicher». Was heisst für Sie sturmsicher?
Unser Lebenshaus soll absolut sturmsicher werden, wie es Jesus in seinem Wort sagt. Wir sind dazu bestimmt, in den Stürmen des Lebens und dieser Welt nicht nur zu überleben, sondern dem Nächsten zum Segen zu werden, Salz und Licht zu sein. Das bedeutet aufbrechen, sich zurüsten lassen und sich bereit machen, um mit Gottes Kraft vorwärts zu gehen. Viele wollen mehr Kraft und Autorität, aber damit sind die Herausforderungen im Beruf und in der Familie nicht automatisch gelöst. Die Frage ist: Bin ich vorbereitet auf diese Kraft des Himmels? Was bedeutet es, im Alltag damit zu leben? Darum geht es an der Jubiläumskonferenz.
Diesen Artikel hat uns freundlicherweise «ideaSpektrum Schweiz» zur Verfügung gestellt (von Livenet leicht gekürzt).
Webseite:
Stiftung Schleife
Autor: Christian Bachmann
Quelle: ideaSpektrum Schweiz