Weltverfolgungsindex 2022
Afghanistan ist der gefährlichste Ort für Christen
Während die Machtübernahme der Taliban islamistische Extremisten weltweit stärkt, löst Afghanistan Nordkorea an der Spitze des Weltverfolgungsindex ab.
Der Weltverfolgungsindex, der das Ausmass der Verfolgung und Diskriminierung von Christen weltweit auflistet, enthüllt, dass mehr als 360 Millionen Christen aufgrund ihres Glaubens unter schwerer Verfolgung leiden, was einem Anstieg von 20 Millionen im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Diese Zahl entspricht einem von sieben Christen auf der Welt. Im Jahr 2021 wurde das höchste Verfolgungsniveau seit der Einführung dieses Messinstruments vor 29 Jahren verzeichnet, nachdem die Zahlen in den letzten Jahren stetig angestiegen waren.
Afghanistan – die brutale Realität
Der Bericht zeichnet ein schockierendes Bild vom Leben der sehr kleinen christlichen Minderheit in Afghanistan und zeigt auf:
-
Christliche Männer riskieren den fast sicheren Tod, wenn ihr Glaube entdeckt wird.
-
Wenn Frauen und Mädchen dem Tod entgehen können, laufen sie Gefahr, mit Taliban-Kämpfern verheiratet zu werden, die eine «Kriegsbeute» machen wollen. Häufig werden sie vergewaltigt und dann verschleppt oder verkauft.
-
Die Taliban-Kämpfer machen aktiv Jagd auf Christen und gehen sogar von Tür zu Tür, um sie zu finden.
-
Ein Grossteil der christlichen Bevölkerung ist in ländliche Gebiete oder Flüchtlingslager in den Nachbarländern geflohen, die alle auf dem Index als Länder geführt werden, die Christen feindlich gesinnt sind.
Verstärkte «Talibanisierung» von Westafrika
Der Fall Kabuls schürte ein neues Gefühl der Unverwundbarkeit unter anderen dschihadistischen Gruppen auf der ganzen Welt. Diese Gruppen wurden darin bestärkt, dass sie für ihre Expansionspläne, bei denen sie Länder mit schwachen oder korrupten Regierungen ausnutzen, auf keinen ernsthaften Widerstand seitens des Westens stossen werden. Ihre Auswirkungen sind im Zeitraum des Index 2022 (1. Oktober 2020 bis 30. September 2021) noch nicht voll zum Tragen gekommen, aber alles deutet darauf hin, dass diese Gruppen ihre Gewalttaten in Ländern wie Nigeria (Rang 7), Mali (Rang 24), der Zentralafrikanischen Republik (Rang 31), Burkina Faso (Rang 32), Niger (Rang 33) und der Demokratischen Republik Kongo (Rang 40) – Länder mit bereits hohem Gewaltniveau – noch weiter steigern werden. Insbesondere in Nigeria wurden innerhalb eines Jahres 4'650 Christen getötet, was 79 Prozent der weltweiten Gesamtzahl entspricht.
Eine ähnliche Strategie von dschihadistischen Gruppen und ihren Anhängern ist auch in anderen Regionen zu beobachten.
-
Im Afrika südlich der Sahara, wo die Gewalt gegen Christen bereits am höchsten ist, kam es zu einem weiteren brutalen Anstieg der dschihadistischen Gewalt, was die Befürchtung einer umfassenderen Destabilisierung aufkommen lässt.
- Die gesellschaftliche Ordnung in Mali (Rang 27) verschlechtert sich rapide, was die Sorge verstärkt, dass das Land zum «nächsten Afghanistan» werden könnte, da sich der Aufstand auf die Nachbarländer Niger und Burkina Faso ausbreitet.
-
Die Demokratische Republik Kongo (DRK), die von der Allianz der Demokratischen Kräfte (ADF) bedrängt wird, und die Zentralafrikanische Republik (ZAR) haben in der Liste der zehn Länder mit der grössten Gewalt gegen Christen zu Nigeria aufgeschlossen.
Eine anhaltende Gewalt und Destabilisierung in diesen Regionen könnte schwerwiegende Folgen haben, während weitere Hunderttausende Menschen weltweit aus ihrer Heimat fliehen, um Schutz zu suchen. «Der Aufstieg Afghanistans an die Spitze des Index ist zutiefst beunruhigend», stellt Philippe Fonjallaz, Direktor von Open Doors Schweiz, fest. «Abgesehen von dem unermesslichen Leid sendet es eine verhängnisvolle Botschaft an islamische Extremisten auf der ganzen Welt, die sie dazu auffordert, ihren brutalen Kampf um die Kontrolle über die Region fortzusetzen. Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) und die Allianz der Demokratischen Kräfte (ADF) halten ihr Ziel eines islamischen Kalifats – das einst im Irak und in Syrien vereitelt wurde – nun wieder einmal für erreichbar. Die Kosten in Form von Menschenleben und Elend, die dieses neue Gefühl der Unbesiegbarkeit verursacht und weiterhin verursachen wird, sind schwer abzuschätzen.»
Die zehn Länder, die den Index 2022 anführen (Rangliste 2021 in Klammern)-
Afghanistan (2)
-
Nordkorea (1)
-
Somalia (3)
-
Libyen (4)
-
Jemen (7)
-
Eritrea (6)
-
Nigeria (9)
-
Pakistan (5)
-
Iran (8)
-
Indien (10)
Die Kirche der «Flüchtlinge»
Schätzungsweise 84 Millionen Menschen waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, entweder als Binnenvertriebene oder als Flüchtlinge in anderen Ländern (26,6 Millionen Menschen). Eine nicht unerhebliche Anzahl von ihnen sind Christen, die vor religiöser Verfolgung fliehen:
-
In einigen Regionen Afrikas südlich der Sahara wurde die christliche Bevölkerung einfach ausgelöscht oder sie ist weggegangen. In den letzten Jahren wurden in Burkina Faso, Mali und Niger Hunderte von Kirchen geschlossen, in Nigeria allein im Berichtszeitraum 470.
-
Hunderttausende Menschen sind vor islamistischer Gewalt geflohen (z. B. in der Sahelzone) oder fliehen aufgrund ihres Glaubens vor Zwangsrekrutierung (Eritrea, Rang 6), Bürgerkrieg (Sudan, Rang 13), staatlicher Repression (Iran, Rang 9) und/oder familiärer Unterdrückung.
-
Christliche Vertriebene und Flüchtlinge leben unter anderem weiterhin im Irak (Rang 14), in Syrien (Rang 15), im Libanon und in Jordanien (Rang 39). In einigen Ländern kann es sein, dass ihnen als Christen humanitäre Hilfe und jede andere Form praktischer Unterstützung von den Behörden verweigert wird.
-
In Myanmar (Rang 12) wurden mindestens 200’000 Christen innerhalb des Landes vertrieben und 20’000 flohen aus dem Land, weil christliche Gebiete im anhaltenden Konflikt zur Zielscheibe wurden.
Häufig sind die Menschen, wenn sie aus ihrer Heimat geflohen sind, noch verletzlicher. Christliche Frauen, die auf der Flucht sind und Schutz suchen, berichten, dass sexuelle Übergriffe die Hauptquelle der Verfolgung sind. Es gibt zahlreiche Berichte über Frauen und Kinder, die sowohl in den Lagern als auch auf ihrer Reise auf der Suche nach Sicherheit Opfer von Vergewaltigungen oder sexueller Sklaverei geworden sind. Armut und Unsicherheit verschärfen ihre Verwundbarkeit, wobei sich einige von ihnen der Prostitution zuwenden, um zu überleben. Da sich der Dschihadismus ausbreitet, ist zu erwarten, dass dieser christliche Exodus noch weiter zunehmen wird.
Eine Nation, ein Volk, ein Glaube
Während sich der wirtschaftliche Einfluss Chinas (Rang 17) weltweit ausbreitet, gilt dies auch für die Durchsetzung einer autoritären sozialen Norm. Diese erstreckt sich auf fast alle Bereiche des Lebens: Sprache, Glauben und Verhalten. «Abweichler» werden verhaftet – über 1000 Christen sitzen derzeit in Gefängnissen, oftmals Pastoren. Der Zugang zur Bibel und zu biblischen Anwendungen ist weitgehend blockiert. Die Aktivitäten der Kirche werden streng überwacht, einschliesslich Online-Meetings, wenn diese überhaupt möglich sind. Und dieser durch Technologie angetriebene Autoritarismus breitet sich rasch weit über China hinaus aus. Vietnam (Rang 19) und Kuba (Rang 37) haben das chinesische Modell übernommen.
Der jüngste Bericht von Open Doors über Indien (Rang 10) beschreibt eine Nation, die in der nationalistischen «Hindutva»-Ideologie versinkt, in der Inder zu sein bedeutet, ein Hindu zu sein. Eine Welle der Gewalt gegen Christen und andere religiöse Minderheiten wurde von der politischen Führung des Landes vernachlässigt oder sogar gefördert und ging mit einem Anstieg von Desinformation und Propaganda in den sozialen und Mainstream-Medien einher.
Ein ähnliches Muster von «Loyalität» und Konformität ist in so unterschiedlichen Nationen wie Myanmar (Rang 12), Malaysia (Rang 50), Sri Lanka (Rang 52) und den zentralasiatischen Staaten zu beobachten. Alle diese Länder sehen sich mit verstärkten Einschränkungen für diejenigen konfrontiert, die vom Credo «eine Nation, ein Volk, ein Glaube» abweichen.
Katar und Indonesien verschlechterten sich erheblich
Neben Afghanistan verzeichneten mehrere Länder einen starken Anstieg des Verfolgungsniveaus. Dazu gehören Katar (Rang 18, im Vorjahr Rang 29), das in diesem Jahr Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft sein wird und in dem Menschen mit muslimischem Hintergrund, die zum Christentum konvertieren, besonders häufig körperlicher, psychischer und – bei Frauen – sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Ebenso verschlechterte sich die Lage in Indonesien (28, Vorjahr 47), wo Christen Opfer von zwei Angriffen in Zentral-Sulawesi sowie eines Bombenanschlags auf die Kathedrale von Makassar wurden, und Myanmar (12, Vorjahr 18), wo das Militär christliche Kirchen und Dörfer angriff, was zur Folge hatte, dass 200’000 Menschen geflüchtet sind.
Die Gewalt nimmt zu
Die Zahl der Morde an Christen wegen ihres Glaubens stieg von 4'761 registrierten Fällen (Index 2021) auf 5'898 (Index 2022). Der Grossteil dieser Verbrechen konzentriert sich auf Subsahara-Afrika, insbesondere Nigeria.
Die Gesamtzahl der angegriffenen Kirchen stieg von 4'488 registrierten Fällen (Index 2021) auf 5'110 (Index 2022) und die Inhaftierungen und Verhaftungen stiegen innerhalb eines Jahres um 44 Prozent auf 6'175, davon 1'315 in Indien.
Zum Thema:
Nach Taliban-Übernahme: Zunehmende Verfolgung der Christen in Afghanistan
Extremismus und Corona: Christenverfolgung hat 2020 erneut zugenommen
Christenverfolgung: Open-Doors-Tag findet digital statt
Autor: Open Doors Schweiz / Rebekka Schmidt
Quelle: Open Doors/ Livenet