Open-Doors-Leiter Rode
«Wir erwarten eine starke Welle der Verfolgung in China»
Open-Doors-Leiter Markus Rode zeichnet eine düstere Prognose für Christen in China, die Präsident Xi Jinping nicht als «gottgleich» anerkennen wollen. Wer Christ ist, bekommt im «Social Scoring» des kommunistischen Landes Minuspunkte. Weltweit habe Christenverfolgung abermals zugenommen.
Herr Rode, was sind die wichtigsten Erkenntnisse des Weltverfolgungsindex (WVI) 2021?
Markus
Rode: Zunächst: Nordkorea steht seit 20 Jahren auf Position 1 des
Weltverfolgungsindex. Ein weiterer Punkt ist, dass alle 50 Länder des
Index ein mindestens «sehr hohes» Mass an Verfolgungsintensität haben.
Die Skala reicht von «hoch» über «sehr hoch» bis hin zu «extrem».
Laut
Ihren Materialien zählen Sie neben den 50 Ländern im WVI weitere 24
Länder, in denen die Christenverfolgung mindestens «hoch» ist.
Ja.
Eine «hohe Verfolgung» stellen wir dann fest, wenn ein Land im Index
mindestens 41 bis 60 von 100 Punkten hat. Alle Länder im WVI haben also
mindestens 61 Punkte. Nordkorea hat 94. Früher haben wir die Länder der
Weltverfolgungskarte gelb, orange und rot hinterlegt. Heute gibt es nur
noch Orange und Rot. Die Intensität hat also deutlich zugenommen.
Wie hat die Corona-Pandemie die Situation der verfolgten Christen beeinflusst?
Die
Pandemie hat wie ein Katalysator für die Verfolgung gewirkt. Christen
aus Westafrika und dem Jemen haben uns mitgeteilt, dass sie bei den
Corona-Hilfen bewusst ausgeschlossen wurden, zum Beispiel bei der
Lebensmittelverteilung. In Indien gaben 80 Prozent unserer Kontakte an,
dass sie von offizieller Stelle bewusst von der Hilfslieferung
ausgeschlossen wurden. Viele verfolgte Christen mussten ihre kleinen
Geschäfte aufgeben, stehen mit leeren Händen da – weil sie bewusst als
Christen benachteiligt werden. Ausserdem werden Christen in manchen
Ländern für die Pandemie verantwortlich gemacht.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Die
Al-Shabaab-Miliz in Somalia hat offiziell gesagt, dass die Christen
bestraft werden müssten dafür, dass sie das Virus in die Welt gebracht
hätten. Sie seien schliesslich die «Kreuzfahrer». In mehreren Ländern von
Subsahara-Afrika haben die Angriffe gegen Christen während der Pandemie
zugenommen, weil immer weniger Schutzpersonal deren Sicherheit
garantieren konnte. Islamisten haben das genutzt, um Christen in ihrem
Land zu attackieren, Kirchen niederzubrennen, Frauen und Mädchen zu
entführen und Christen zu ermorden. Besonders sieht man das in Nigeria,
das erstmals unter den ersten zehn Ländern des WVI steht. Alleine in
Nigeria haben wir im Untersuchungszeitraum 3'530 Morde an Christen
dokumentiert. 91 Prozent aller ermordeten Christen, die wir registriert
haben, lebten in Afrika. Insgesamt sind die von uns erfassten Morde im
Vergleich zum vergangenen Zeitraum um 60 Prozent gestiegen.
Rechnen Sie damit, dass nun vermehrt Christen aus Afrika nach Europa fliehen werden?
Wenn
sie es könnten, würden sie es tun. Auch ist der Druck auf Christen in
Flüchtlingslagern in muslimischen Ländern sehr hoch. In den Lagern
bilden sie die Minderheit, die meisten sind Muslime. Viele christliche
Flüchtlinge sind deshalb gar nicht erst in die UN-Flüchtlingslager
gegangen.
Es läge also bei vielen ein klarer Asylgrund vor – Verfolgung aufgrund des Glaubens –,
aber es gibt so gut wie keine Möglichkeit für sie, Asyl in Europa zu
bekommen.
Ja, aber vor allem
deshalb, weil sie gar nicht erst so weit kommen. Ausserdem wollen die
europäischen Staaten ja möglichst keine Flüchtlinge.
China,
die aufsteigende Supermacht, spielt wieder einmal eine besondere Rolle
im Weltverfolgungsindex. Noch vor Jahren sah es doch so aus, als würde
Peking den Wert des Christentums wertschätzen. Warum hat sich das
geändert?
Die Erklärung ist
einfach: Xi Jinping. Er will die Machtfülle haben, die Mao einst hatte.
Er hat klar gemacht, dass er der Massstab aller Dinge ist. Wir erleben
gerade eine Art zweite Welle der Kulturrevolution, nur eben mit
ausgeklügelteren Methoden, die Menschen gefügig zu machen.
Welche Methoden sind das?
Zum
Beispiel das «Social Scoring». Jeder Bürger wird digital in einem
sozialen Netzwerk gescannt und in einem Punktesystem erfasst: Wie treu
ist er der Kommunistischen Partei und Xi Jinping gegenüber? Dieses
Punktesystem definiert die Stellung des Bürgers im System. Wer Xi
Jinping gottgleich anerkennt, erhält mehr Punkte, wer das wie Christen
nicht tut, steht automatisch weiter unten.
Christen bekommen also automatisch aufgrund ihres Glaubens Minuspunkte?
Definitiv.
Gerade die älteren Christen in China sind verfolgungserprobt. Sie
würden niemals anerkennen, dass Xi Jinping über Gott stehe. Seit Xi an
der Macht ist, sind Tausende Kirchen zerstört worden. In den Kirchen
hängen Kameras, mit denen die Gottesdienste und Besucher überwacht
werden. Die Religion soll also vollständig kontrolliert werden. Ein
Einlenken der Christen wird es aber nicht geben. Weil Christen Xi
Jinping nicht über Gott stellen werden, erwarten wir eine starke Welle
der Verfolgung in China.
Das
klingt wie eine Folge aus der britischen dystopischen Serie «Black
Mirror». Der Kommunismus will die vollkommene Gleichheit aller Menschen –
das Social Scoring klingt nach dem genauen Gegenteil.
So
ist es. Xi will seine Macht als Diktator durch vollständige Loyalität
sicherstellen. Das funktioniert nur über Kontrolle und ein
hochentwickeltes Überwachungssystem, das mittlerweile auch in andere
Länder wie den Iran exportiert wird.
China
ist aus der globalisierten Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Kann man
gegen dieses riesige Reich überhaupt etwas ausrichten?
Gerade
in der Anfangsphase der neuen Verfolgungswelle können wir unsere Stimme
erheben, unseren Geschwistern mit Hilfsprojekten und im Gebet zur Seite
stehen. Die Bibel ist im Online-Handel bereits verboten worden.
Und sie wurde sogar umgeschrieben: Die Ehebrecherin erfährt keine Vergebung, stattdessen wird sie von Jesus gesteinigt.
Ja,
die Bibel wird verfälscht, die kommunistische Ideologie soll Eingang
finden in alle Lebensbereiche. Wir müssen zurückspulen auf die Zeit von
Mao und hören, was die Christen brauchen. Wir werden als Open Doors
weiter am Puls Chinas bleiben, damit wir gezielt helfen und beten
können. Was die Politik angeht: Die Frage ist, ob man bereit ist, seine
Seele an ein Regime zu verkaufen, das die Menschenrechte nicht einhält.
Genau so, wie es Umweltstandards für Waren gibt, muss es auch
Menschenrechtsstandards geben, die dann auch umgesetzt werden. Doch das
ist momentan nicht der Fall. Deutschland muss so etwas einfordern. Ich
wünsche mir mehr Engagement dafür, dass der Handel menschenrechtlichen
Kriterien folgt.
In Bezug auf
die Corona-Einschränkungen in Deutschland sprachen einige wenige
Christen von «Verfolgung». Was halten Sie von solchen Aussagen?
Dem
kann ich schlicht nicht folgen. Die Ursache der Massnahmen liegen im
Schutz vor Ansteckungen. Ausserdem sind alle Religionsgruppen und
Versammlungen betroffen. Verfolgung ist eine Einschränkung der
Religionsfreiheit aufgrund des Glaubens. Hier geht es um einen ganz
anderen Hintergrund.
Was bringt der Weltverfolgungsindex den verfolgten Christen?
Er
ist ein erster wesentlicher Schritt dahin, die Situation von
mittlerweile 309 Millionen verfolgten Christen in den 50 Ländern des
Weltverfolgungsindex sichtbar zu machen. Hinter jeder dieser Zahlen
stehen Menschen, deren Hilfeschrei ist: Bitte betet für uns, bitte
unterstützt uns. Der WVI hat nur dann eine Berechtigung, wenn Menschen
daraufhin handeln. Er soll Menschen aktivieren, ihren verfolgten
Glaubensgeschwistern zur Seite zu stehen, denn es wird immer härter.
Gibt es auch Länder, in denen sich die Lage verbessert hat?
Leider
kann ich nur ein Land nennen: den Sudan. 92 Prozent sind Muslime, 4,5
Prozent sind Christen. Letztes Jahr stand Sudan noch auf Rang sieben,
jetzt ist er auf dem 13. Platz. Das liegt daran, dass der islamistische
Diktator Al-Baschir, der jahrelang den Sudan dominiert hat, vom Militär
gestürzt worden ist. Die neue Regierung hat als einen der ersten
Schritte das Apostasie-Gesetz abgeschafft, das für Konvertiten das
Todesurteil bedeutete. Das war ein grosser Schritt nach vorne, auch wenn
es noch viel zu tun gibt.
Zum Originalartikel auf PRO.
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Autor: Nicolai Franz
Quelle: PRO Medienmagazin