Kinderhilfswerk Lima

«Täglich musste man mit Anschlägen rechnen»

Am 23. September feiert das «Kinderhilfswerk Lima» sein 50-jähriges Bestehen. Livenet interviewte dazu Carole Huber. Sie arbeitete fast sechs Jahre in Lima, wo sie das Patenschaftsprogramm für 2'500 Kinder leitete. Heute ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit des Werks in der Schweiz zuständig. Zudem kommt Patricia Rojas zu Wort, sie war einst Patenkind und arbeitet heute als Zahnärztin.

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Carole in Lima
Livenet: Carole Huber, wie blicken Sie auf die nun 50-jährige Geschichte des Kinderwerks Lima?
Carole Huber:
Ich bin ja erst seit zehn Jahren dabei. Aber was ich von Kollegen und langjährigen Mitarbeitern erfahren habe, versetzt mich immer wieder in Staunen. Trotz vielen Herausforderungen hat Gott diese Organisation durch viele Höhen und Tiefen treu hindurchgetragen.

Können Sie solche Herausforderungen nennen?
Ganz spontan kommt mir die Terrororganisation «Der leuchtende Pfad» der 80er Jahre in den Sinn. Wie mir meine peruanischen Freunde erzählten, versetzte er die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Täglich musste man mit Anschlägen rechnen. Alle fürchteten sich, auf die Strasse zu gehen. Es war eine Zeit voll von politischen Unruhen, extremer Inflation, erschütternden menschlichen Schicksalen. Die europäischen Mitarbeiter rechneten ständig damit, das Land übereilt verlassen zu müssen. Doch Gott schenkte grosse Bewahrung, so dass gerade auch in dieser Zeit der Bevölkerung durch unser Werk geholfen werden konnte.

Wo macht das Werk heute einen Unterschied durch seinen Einsatz?
Die Schulen sind nach wie vor der Hauptpfeiler unserer Arbeit. Aber durch den nahen Kontakt mit der Bevölkerung erkennen wir die aktuellen Bedürfnisse und neue Arbeitsgebiete tun sich auf. Seit einigen Jahren kümmern wir uns beispielsweise mit einem Programm um Teenager-Mütter aus den Slum-Gebieten. Diese Mädchen stehen oft allein da, völlig überfordert mit ihrer Situation und ohne Perspektiven. Ich schätze es, dass das Kinderwerk einerseits unerschütterlich an seinen Zielen festhält, andererseits aber auch beweglich ist, und sich in neues Terrain wagt.

Welches sind diese Ziele?
Einerseits Kindern, Jugendlichen und Familien aus benachteiligten Verhältnissen in praktischer Nächstenliebe zu helfen, ihnen andererseits aber auch das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat weiterzugeben.

Was können wir im deutschsprachigen Europa aus dieser Arbeit in Lateinamerika und Afrika lernen?
Obwohl dies keine neue Erkenntnis ist, ist es wichtig: Hilfe muss immer Hilfe zur Selbsthilfe sein. Deshalb finde ich christliche Bildung so effektiv. Sie macht aus Kindern mündige Menschen, die Verantwortung für sich und ihre Umgebung übernehmen können. So wird letztlich die dortige Gesellschaft positiv geprägt.

Gibt es Geschichten, wo Sie jemandem geholfen haben, der dadurch anschliessend selbst zum Mitarbeiter bei Ihnen wurde?
Ja, viele! Von den rund 250 Mitarbeitern unserer Schulen in Lima sind zurzeit 29 Ex-Schüler. Diese arbeiten vor allem als Lehrer und Erzieher, aber auch in der Administration. Und da ist auch Pati, unsere Zahnärztin, die eine sehr bewegende Geschichte hat (Siehe Erlebnisbericht unten).

Was berührte Sie bei Ihrer Arbeit in Peru besonders?
Unsere Arbeit wird zu einem grossen Teil durch Patenschaften finanziert. Als ich in Lima war, kam ein Ex-Schüler zu mir ins Büro. «Ich bin der Schule so dankbar», erklärte er. «Ich habe einen guten Job im Bergbau und muss in keiner Beziehung mehr Mangel leiden. Nun möchte ich meinerseits ein Patenkind unterstützen.» Wie sich der Kreis schliesst, finde ich einfach genial! Alejandro war der erste peruanische Pate. Inzwischen hat sich die Zahl auf 79 erhöht.

Welche Projekte konnten zuletzt abgeschlossen werden – und welches sind die aktuellen Brennpunkte?
In Burundi konnte vor kurzem der Bau des Sekundarschul-Gebäudes abgeschlossen werden. Damit ist ein Etappenziel erreicht. Sobald wir Geld dafür haben, soll dort auch ein Internat und die Möglichkeit zur Berufsausbildung entstehen.

Unser grösstes Projekt ist zurzeit aber sicher der Kindergarten im Stadtteil El Agustino in Lima. Dieser musste überstürzt abgerissen werden, da der fast 50-jährige Bau nicht mehr den aktuellen Sicherheitsvorschriften entsprach. Nun sollten wir möglichst bald neue Räumlichkeiten bauen. Wo das Geld dafür herkommen wird? Wir wollen Gott vertrauen…

Welche Momente bewegen Sie persönlich in Ihrer Arbeit?
Das Konzept des Kinderwerks besteht unter anderem darin, mit engagierten Christen vor Ort zusammenzuarbeiten. Ob in Peru, Paraguay oder Burundi – trotz der Andersartigkeit finde ich die Zusammenarbeit mit diesen Geschwistern sehr bereichernd. Immer wieder staune ich über ihren Einsatz, ihren Glauben und ihre Treue. Viele sind mir ein grosses Vorbild geworden.

Begonnen hat alles ja in Lima, weitere Länder sind dazugekommen. Folgt nun bald ein weiteres?
Vorerst sicher nicht! Mit Burundi haben wir ja einen neuen Kontinenten und damit absolutes Neuland betreten. Dieses Projekt ist ein kleines Pflänzchen, das zuerst einmal wachsen und gut verwurzelt werden muss. Dann sehen wir weiter …

Carole Huber, vielen Dank für das Interview. Im Folgenden gewährt Patricia Rojas einen Einblick in ihr Leben.

«Das hätte ich mir nie träumen lassen…»

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Patricia Rojas
Eine Ex-Schülerin erzählt, wie sie Zahnärztin wurde:
«1979 erhielt ich als Dreijährige einen Platz im Kindergarten der Johannes-Gutenberg-Schule. Dieser Umstand rettete mir das Leben: Als ich eine lebensgefährliche Niereninfektion bekam, sorgen die Erzieherinnen dafür, dass ich als Notfall in die Klinik kam. Meine rechte Niere musste entfernt werden. Ohne viel Aufhebens übernahm die Schule die Kosten für die OP und den Klinikaufenthalt, denn meine Eltern wären damals dazu nicht in der Lage gewesen.

Nach dieser Krise konnte ich meine Schullaufbahn ganz normal fortsetzen. Im Laufe der Jahre schenkte mir die Schule ein zweites Mal das Leben – indem die Lehrer mithalfen, dass die Liebe Jesu mein Herz erreichte. Schon von frühester Kindheit an war mir klar: Gott hat mich geschaffen, ER sorgt für mich, und ER hat einen wunderbaren Plan für mein Leben.

Nach der Schule schaffte ich die Aufnahmeprüfung an der Universität. Mein Studium dauerte sieben Jahre. Unter vielen Mühen hat die ganze Familie mitgeholfen und mich finanziell unterstützt. Zusätzlich arbeitete ich tagsüber in einem Restaurant und an einer Tankstelle. Studiert habe ich abends und an den Wochenenden. In den Ferien verkaufte ich auf der Strasse Stofftiere und Weltkugeln. Jedes Semester musste ich mindestens die Note gut/befriedigend erreichen, damit ich einen Teil der Studiengebühren erlassen bekam. Nur so ging es.

Nach dem Studium jobbte ich zuerst in medizinischen Hilfseinsätzen im Inland. Später arbeitete ich an verschiedenen staatlichen Gesundheitszentren. So gewann ich Berufserfahrung. Niemals hätte ich mir träumen lassen, einmal an «meiner» Schule tätig zu sein; aber als 2009 unser langjähriger Zahnarzt in den Ruhestand ging, gab man mir die Stelle. Nun arbeite ich die halbe Woche hier in der Zahnarztpraxis der Schule, die restliche Zeit bin ich in der Praxis einer Kollegin.

Ich bin sehr glücklich. Jedes Kind, das ich behandeln darf, ist Ausdruck der Liebe Gottes. Heute habe ich die Möglichkeit, als Patin selbst zwei Kinder der Gutenberg-Schule in Huanta zu unterstützen. Dafür legen wir in der Verwandtschaft und unter den Arbeitskollegen monatlich etwas zusammen. Es ist mir wichtig, dass diese gesegnete Arbeit weitergeht.»

Jubiläumsfest 50 Jahre Kinderhilfswerk Lima
Sonntag, 23. September 2018
Reformierten Kirche Zürich-Hirzenbach
Programm: 10 Uhr Festgottesdienst
11.45 Uhr Mittagessen
13.30 Uhr Festnachmittag

Zur Webseite:
Kinderhilfswerk Lima

Zum Thema:
Sogar im staatlichen Radio: Versöhnung zwischen Hutu und Tutsi
Mit Hilfe aus der Schweiz: Schule schafft Frieden unter Ethnien
Eine andere Welt: Mission unter erschwerten Bedingungen

Datum: 15.09.2018
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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