Orthodoxes Missionsschiff
Wenn sibirische Orthodoxe die Evangelikalen nachahmen
Evangelische Christen werden heute in Russland vom Staat und der orthodoxen Kirche ausgegrenzt, häufig sogar verboten. Das kann nicht verhindern, dass ihr gelebtes Evangelium aufgeschlossene Orthodoxe beeindruckt und beeinflusst: Das orthodoxe Missionsschiff am sibirischen Ob ist ein schönes Beispiel dafür.
Vom russischen Novosibirsk dampft Mitte August das Flussschiff «Andrej» den Ob hinab. An Bord diesmal keine Touristen, sondern 30 orthodoxe Priester, Ärzte und Schwestern, dazu Bibeln und Medikamente. Auf dem Dampfer wurden sowohl eine Kirche wie medizinische Ambulanz mit Operationssaal eingerichtet, die Kabinen zum Teil in ein Krankenhaus verwandelt.An beiden Ufern die scheinbar unberührten Wälder der sibirischen Taiga. Doch in ihren Tiefen leben Menschen, die Jesus noch nie begegnet sind, denen ebenso wenig gesundheitliche Betreuung zuteilwird. Zu ihnen führen keine Strassen, schon gar nicht Eisenbahnen. Auch Flugplätze fehlen in der grünen, von Milliarden Sommermücken mit penetrantem «Ssss» durchsummten Wildnis.
Bei 47 Anlegeplätzen stauen sich schon «Sibirjaken», die bodenständigen Sibirier, in dichten Scharen. Die Ankunft eines «Hilfsschiffes» hat sich herumgesprochen. Denn Funktelefone und Internet haben längst auch ihren Weg in die Taiga gefunden.
Nach evangelischem Beispiel
Die Aktivisten vom «Andrej» lesen aus der Bibel vor – viele in Sibirien sind noch Analphabeten –, predigen und taufen oder operieren, behandeln und pflegen. Ein ähnlicher Einsatz ist dieses Jahr auf der Wolga im Gang. Es ist sonst nicht Art der orthodoxen Kirche, den erlösenden und heilenden Jesus von sich aus ins Volk zu tragen. Lieber sitzen die Popen in prächtigen Kirchen und warten, dass man zu ihnen und ihren prunkvollen Gottesdiensten kommt. Die Flussmission haben sie evangelischen Christen abgeschaut.
Missionsschiffe haben Tradition
Missionsschiffe der Herrnhuter Brüdergemeinde setzten schon 1770 erstmals die Segel. In den letzten Jahrzehnten hat die auch in der Schweiz beheimatete «Operation Mobilisation» (OM) ihre «Logos», «Doulos» und «Logos Hope» auf grosse Fahrt geschickt. In den Nordmeeren ist der Missionskutter «Elida» unterwegs. Nach Sibirien übertrug diese Aktivitäten der «Evangelisch-Christliche Missionsbund» mit Krasnodar als Zentrum. An einem Nebenfluss des Ob gründeten diese «Reform-Baptisten» die Missionsstation «Apokalypse». Von dort brechen Geländewagen sowie kleinere Boote in die Taiga auf. Davon hat sich der aufgeschlossene orthodoxe Bischof Luka Volckov von Iskitim bei Novosibirsk inspirieren lassen.
Bei Ausgestossenen, die Jesus verfluchen
Wie der Evangelist Viktor Lesskow berichtet, sind es nicht nur «Eingeborene», auf welche die Missionsteams stossen. Im sibirischen Hinterwald vegetieren unter primitivsten Verhältnissen ohne Papiere ganze Kolonien von Rechtlosen. Die meisten sind schon einmal Jesus begegnet, fluchen nun aber auf ihn. Bei ihnen ist die Erweckungsarbeit am zähesten. Manche müssen dazu nach «Apokalypse» mitgenommen werden. Eigentlich fällt das alles heute unter das russische Missionierungsverbot aus dem Jahr 2016. Aber dieses so genannte «Paket Jarowaja» kommt im fernen Sibirien kaum zur Anwendung.
Orthodoxie: Von Evangelikalen lernen
An Bord des «Andrej» meint der weissbärtige orthodoxe Pfarrer Daniil Goluboff (Name geändert) überhaupt: «Wir sollten die Evangelikalen nicht bekämpfen, sondern von ihnen lernen.» Dieses Missionsschiff ist ein schönes Beispiel dafür: «Als orthodoxe Christen können wir diesen Neoprotestanten zwar in Glaubensfragen nicht zustimmen. Was ihr Leben nach dem Evangelium angeht, haben sie uns aber viel voraus.»
Vater Daniil hat noch sieben Jahre in sowjetischen Straflagern verbracht und dort die Evangelischen als mitverfolgte christliche Geschwister kennen und schätzen gelernt: «Unsere Generation, die sich daran erinnert, stirbt aber aus. Das postkommunistische Russland diskriminiert alle Nicht-Orthodoxen!» Aber auch die Evangelikalen müssten sich nicht nur um Vergrösserung ihrer Gemeinden bemühen. «Sie sollten ihren Reformgeist auch in die orthodoxe Kirche hineintragen!»
Zum Thema:
50 Prozent weniger in 3 Jahren: Atheismus in Russland geht dramatisch zurück
Ungeahnte Folgen: Wenn Zähne ziehen Kreise zieht
Neuer Besucherrekord: 225'000 kamen in Veracruz an Bord der Logos Hope
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet