Demokratie praktisch
Keine Qual trotz Wahl
In Deutschland wird am 26. September der Bundestag neu gewählt. Noch nie war das Ergebnis so offen, gab es so viele Möglichkeiten. Für Christinnen und Christen ist es eine Chance, ihre Werte zu wählen – auch wenn das nicht einfach ist.
«Die da oben machen ja doch, was sie wollen!» Behauptungen wie diese begleiten demokratische Wahlen schon lange. Und sie sind natürlich auch heute zu hören. Was steckt dahinter? Die Angst, übersehen zu werden. Schlechte Erfahrungen. Politikverdrossenheit. Und manchmal schlicht das Missverständnis, dass von mir gewählte Abgeordnete auch meine Meinung vertreten müssten. Müssen sie nicht. Tatsächlich sind sie nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet.
Bei allen Bedenken liegt die Wahlbeteiligung in Deutschland seit einigen Jahren wieder ansteigend bei einem guten Dreiviertel der Bevölkerung und damit um einiges höher als in den USA und Grossbritannien (zuletzt jeweils 67 Prozent), in Frankreich mit 49 und der Schweiz mit 45 Prozent. Offensichtlich sehen viele Deutsche damit die Bundestagswahl als das, was sie ist: eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und die Politik des Landes mitzugestalten.
Nicht leicht – und das ist gut so!
Aber wen soll man wählen? Wer immer FDP gewählt hat, weil das so in der Familie liegt, der hat es nicht so schwer, sein Kreuz auf den Wahlzettel zu setzen. Alle anderen fragen sich: Welche Partei bzw. Abgeordneten stehen am Ehesten für die Werte und Ansichten, die ich persönlich habe – sind also im besten Sinne Volksvertreterinnen und -vertreter? Wer hat die besten Beiträge für unser Land und darüber hinaus auch für Europa und die Welt? Da geht das Fragen und Hinterfragen los. Stehen die C-Parteien wirklich für christliche Inhalte? Und wie sozial ist die SPD? Ist es sinnvoll, die eigene Stimme einer Kleinpartei zu geben, die neuer ist und für eine klarere Menschengruppe steht? Oder sind die grösseren sogenannten «Volksparteien» die bessere Wahl, auch wenn sie sich längst auf deutlich niedrigerem Niveau als früher bewegen?
Angesichts der Auswahl, der manchmal sehr stark unterschiedlichen, oft auch extrem dicht beieinanderliegenden Parteiprogramme, sprechen Wählerinnen und Wähler oft vom «kleineren Übel», für das sie sich entscheiden wollen. Doch dieser Ausdruck führt in die Irre. Im vorhandenen Parteienspektrum kommen zwar auch menschenverachtende Gedanken vor, doch die meisten Ansichten lassen sich durchaus diskutieren, abwägen und sind schliesslich kompromissfähig. Sprich: Beschlüsse werden gemeinsam getragen. Das ist allerdings immer wieder ein Kampf – auch für die Wählerinnen und Wähler, die es sich nicht leicht machen wollen.
Entscheidungsgrundlagen
In den meisten Parteien finden sich christliche Abgeordnete, denn DIE christliche Partei an sich existiert nicht. So sind Christinnen und Christen herausgefordert, sich ihre Meinung zu bilden. Ein Blick in die Bibel ist dabei sehr hilfreich – wird aber zu keinem einheitlichen Ergebnis führen. Typische Themen, die von christlicher Seite aus betont werden, sind die Haltung zu Abtreibung und Ehe. Genauso relevant sind allerdings wirtschaftsethische Fragen (Arbeit, Reichtum und Schulden nehmen in der Bibel einen breiten Raum ein).
Und was ist mit der Verantwortung für unsere Schöpfung? Migrationspolitik, Bildung, Frauenrechte, Gesundheitswesen… die Liste der Themen, die stark mit dem christlichen Glauben verknüpft sind, nimmt kein Ende.
Wahl-O-Mat und Co
Um sich in diesen Themenfeldern Überblick zu verschaffen, kann es sinnvoll sein, den einzelnen Parteien gerade in den Bereichen auf die Finger zu schauen, die für einen selbst besondere Relevanz haben. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat zum Beispiel vor Jahren ihren «Wahl-O-Mat» ins Leben gerufen. Dort kann man anhand von 38 Fragen herausfinden, welches Wahlprogramm der eigenen Vorstellung am nächsten kommt. Wer sich weniger an Programmen als am tatsächlichen Abstimmungsverhalten von Parteien orientieren möchte, wird bei «DeinWal» fündig – mit der Einschränkung, dass dort natürlich nur Parteien vertreten sind, die einen Platz im Parlament haben. Das christliche Medienmagazin Pro hat auch noch einen «PROphetomaten» beigesteuert, in dem steht, «was die Parteien zu Themen zu sagen haben, die Christen besonders interessieren». Eine Liste weiterer Online-Tools ist zum Beispiel bei Wikipedia zu finden.
Jedes dieser Tools hat seine Stärken und Schwächen. Aber zusammen sind sie durchaus hilfreich. Doch sie nehmen einem die Entscheidung nicht ab – und das ist gut so! Denn am 26. September können Atheistinnen und Muslime, Landwirte und Ärztinnen, Alte und Junge wählen. Auch Christinnen und Christen können hier mitbestimmen, welche Politik in den nächsten vier Jahren in Berlin gemacht wird. Was für ein Vorrecht!
Zum Thema:
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet