Glaube und Klimawandel

Welche Rolle spielt die Religion?

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Führt Glaube zu mehr oder zu weniger Engagement gegen den Klimawandel? Gar nicht so leicht, sagt die Forscherin und Umweltwissenschaftlerin Lisa Schipper.

Wie Menschen auf Naturkatastrophen reagieren, hängt wesentlich auch von ihrer religiösen Einstellung ab. Die Umweltwissenschaftlerin Lisa Schipper hat sich auf dieses Gebiet der «Environmental Social Science Research», also der sozialen Komponente der Umweltforschung, spezialisiert. Auf Erdbeben, Überschwemmungen und Vulkanausbrüche reagieren die Menschen unterschiedlich, je nachdem, welcher Religion sie anhängen, lautet eine wichtige Erkenntnis der Forscherin. Schipper forscht an der Universität Oxford, sie ist aber aktuell Gastwissenschafterin an der Universität Wien. Schipper ist Mit-Autorin des viel beachteten letzten IPCC-Berichtes zum Klimawandel vom Februar 2022.

Ob gläubige Menschen dem Problem des Klimawandels eher mit Passivität und Fatalismus begegnen, könne man nicht an einer Religion festmachen. Dafür gebe es zu viele unterschiedliche Religionen, sagt Schipper, die in den vergangenen Jahren an vielen unterschiedlichen Orten auf der Welt Feldforschung betrieben hat, gegenüber PRO. Oftmals wurde und wird in einem katastrophalen Ereignis das Resultat für die Übertretung von moralischen Gesetzen gesehen.

Verweis auf Leben nach dem Tod

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Lisa Schipper
In Lateinamerika sorgte seit den 70er Jahren die Befreiungstheologie für einen starken Einfluss. Es entstanden kleinere Gemeinschaften, in denen die Gläubigen zusammenkamen, um in der Bibel zu lesen. Die wachsende Autonomie vom Vatikan führte dann auch dazu, dass sich dieser von der Bewegung distanzierte. Es seien beispielsweise vor allem Jesuiten der Befreiungstheologie gewesen, die von sich aus aktiv gegen Guerilla-Kämpfe vorgingen, ohne einen vatikanischen Auftrag abwarten. Entsprechend sei dort stets das Ideal vorherrschend gewesen, dass der einzelne Gläubige proaktiv tätig werden könne und sollte, und nicht auf die Verantwortung eines Priesters angewiesen ist. Hier sei die persönliche Verantwortung, selbst etwas gegen Missstände zu tun, viel grösser.

Dann seien immer mehr evangelikale Missionare aus den USA in Lateinamerika aktiv geworden, so Schipper. Sie hätten einerseits die Botschaft von der persönlichen Erlösung durch Jesus Christus verbreitet, und dass diese Erlösung erst im Leben nach dem Tod seine Vollendung finde, und nicht im Diesseits. Das habe zu einer eher fatalistischen Ansicht geführt, wonach man ohnehin nichts gegen die von Gott gesandten Katastrophen tun könne.

Mit Fatalismus Herausforderungen begegnen

Forscher hätten auch die Reaktionen auf einen verheerenden Tsunami im Jahr 2004 im Indischen Ozean untersucht, berichtet Schipper. Zentral für Buddhisten in Sri Lanka sei das Prinzip von Vergänglichkeit und Karma. Die Verluste durch den Tsunami wurden daher entsprechend mit dem Prinzip des Karmas erklärt, wonach ohnehin alles im Fluss sei und einer universalen Notwendigkeit folge.

«Auch im Islam in Bangladesch ist der Fatalismus ein Weg der Dorfbewohner, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen», so die Forscherin, die sich mit Klimawandel und Religion beschäftigt. Nach dem fatalistischen Prinzip dieser Religion herrsche bei vielen Angehörigen der Gedanke vor: Im nächsten Leben wird vielleicht alles besser. Dies führe dazu, dass man sich weniger um das Hier und Jetzt kümmert.

Hilfsnetzwerk

Schipper interviewte auch Muslime und orthodoxe Christen in Äthiopien und stellte fest, dass die Religion dort die Menschen zusammenbringe und dadurch einen sozialen Zusammenhalt schaffe sowie ein Netzwerk der gegenseitigen Hilfe. Dies habe sich etwa bei einer Dürre in Simbabwe vor einigen Jahren gezeigt, so Schipper.

«Die Menschen kamen zusammen, um für Regen zu beten. Dabei entstand ein Netzwerk der Hilfe, sowohl in psychologischer Hinsicht als auch in technischer Hinsicht. Kirchen und andere spirituelle Zusammenkünfte waren schon immer auch Orte der sozialen Interaktion. Daraus wiederum folgte eine stärkere Zusammenarbeit, wenn es darum ging, gemeinsame Ziele zu erreichen und Entwicklung voranzutreiben.»

Muss man auch an Wissenschaft «glauben»?

Ausserdem gebe es Religionsgemeinschaften, die in Gott den Schöpfer der Erde sehen, der die Menschen als Bewahrer seiner Schöpfung setzte. «Die Klimakrise wird dann als Zeichen dafür interpretiert, dass wir Menschen diesen Auftrag nicht gut erfüllt haben», sagt Schipper. «Dafür muss man quasi Busse tun», und damit verbunden sei ein höheres Verantwortungsbewusstsein in Sachen Umweltschutz und beim Kampf gegen den Klimawandel.

Gibt es unter Evangelikalen mehr Klima-Leugner? Schipper: «Es gibt Gemeinden, in denen die Mitglieder ihr Verhalten und ihre Entscheidungen sehr nach den Prinzipien dieser Gemeinde oder eines Gemeindeleiters hin ausrichten. Wenn der religiöse Leiter dann sagt, dass es den Klimawandel nicht gibt, ist es offensichtlich, dass diese Ansicht von den Mitgliedern übernommen wird.»

Schipper fügt hinzu, es gebe mittlerweile eine «bizarre Ansicht», dass Wissenschaft und Klimawandel auch nichts anderes sei als eine Art Religion, an die man «glauben» müsse. «Und wenn man nicht 'an Wissenschaft glaubt', ist es leichter, den Klimawandel zu leugnen.» Schipper weiter: «Aber wenn man ehrlich ist: In gewisser Weise muss man an wissenschaftliche Fakten ja auch 'glauben'. Man kann die Auswirkungen nicht selbst sofort sehen. Klar gibt es so etwas wie die Schwerkraft, die erfährt jeder im Alltag. Aber wie ein Klimasystem funktioniert, weiss man nicht unbedingt, wenn man kein Klimaforscher ist.»

Schipper fügt hinzu: «Wenn man eine religiöse Person ist, die anderen Religionen skeptisch gegenübersteht, und wenn man Wissenschaft auch als eine Art Religion ansieht, hat man auch eine skeptische Haltung Wissenschaft gegenüber.»

Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin.

Zum Thema:
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Datum: 27.04.2022
Autor: Jörn Schumacher
Quelle: PRO Medienmagazin

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