Familie Amstutz
Eine Bananenkiste voller Schätze
Familie Amstutz lebte in Kanada, später in Rumänien. Vor neun Jahren sind sie mit ihren fünf Kindern in die Schweiz zurückgekehrt. Wo empfinden die sieben «Nomaden» heimische Gefühle trotz Umzügen und Neuanfängen? Monika und Markus Amstutz sind beide im Berner Jura aufgewachsen. Als die beiden vor 25 Jahren heirateten, hätten sie sich gut vorstellen können, dort den Bauernhof von Markus' Eltern zu übernehmen und sesshaft zu werden. Markus hatte sowohl eine Ausbildung als Landwirt als auch als Landschaftsgärtner – gute Voraussetzungen also. Doch auch sein Bruder bekundete Interesse am elterlichen Hof. «Damals wurde vieles nicht offen aus- und angesprochen», erinnert sich der 49-Jährige. Was nun? – fragte sich das junge Paar.
Flucht nach vorn! Monikas Eltern und ihr Bruder waren zuvor nach Kanada ausgewandert. Die Farm war gross genug, um einer weiteren Familie Arbeit und Lebensunterhalt zu bieten. Im Jahr 2000 packte Familie Amstutz zum ersten Mal ihr Hab und Gut und auch ihre drei kleinen Kinder Caroline, Nicolas und Vivianne zusammen. Sie reduzierten ihren Besitz auf eine Box mit einer Grundfläche von vier Quadratmetern und einer Höhe von 1,80 Metern.Heimweh und zerplatzte Träume
Monika fiel das Ankommen und Einleben am neuen Ort leicht. Die Abschiede seien für sie jeweils härter gewesen, sagt die 48-Jährige: «Neues hat für mich einen gewissen Reiz.» Eine christliche Gemeinde veranstaltete bei ihrem Eintreffen in Kanada eine «Warm-up-Party». Neben Kaffee und Kuchen brachten die Leute als Geschenk Dinge des täglichen Bedarfs mit: Geschirr, Decken etc. Amstutz' schlugen in Kanada schnell Wurzeln, doch die Ruhe währte nicht lange.
Zwischenmenschlichen Spannungen, Heimweh und Existenzängste legten sich wie ein Schatten auf den Familienvater. Auch die alte Frage wegen der Übernahme des elterlichen Hofes begann Markus wieder umzutreiben. Nach 15 Monaten zog die Familie zurück in die Schweiz. Job- und Wohnsituation waren schon vor ihrer Rückkehr geklärt. Die Anforderungen, die der neue Chef des grossen Bauernhofes an Markus stellte, waren immens – sogar die Mitarbeit von Monika forderte er ein, obschon das im Vertrag so nicht vorgesehen war. Markus schlitterte nach kurzer Zeit in eine Erschöpfungsdepression, einen Burn-out. Desillusioniert kündigte er den Job – ein nächster Umzug war unabwendbar.
Zusammenbruch und Neuanfang
Um Markus eine Pause zu gewähren, entschieden sich die beiden, dass Monika in ihren Beruf als Pflegefachfrau zurückkehrte. Damit wurde Monika zur «Ernährerin» der Familie, während sich Markus als Hausmann um Kinder und Haushalt kümmerte. Die sonst eher zurückhaltende Monika stellte klare Bedingungen: Sie war nur bereit, diese Lösung anzupacken, wenn ihr Mann einwilligte, dieses Modell mindestens drei Jahre zu leben. Tatsächlich ging der Handwerker frisch ans Werk: pflanzte Gemüse, schaffte Hühner und Kaninchen an, erholte sich und begann langsam wieder zu träumen. Markus' Wunsch, als Landwirt zu arbeiten, bekam neuen Schub. Ein Bauer gab ihm eine Chance zum Wiedereinstieg, trotz seines Lebenslaufs ohne Kontinuität.
Diese Erfahrung ermutigte den Familienvater. 2007 stieg er als Landwirt in ein christliches Hilfswerk in Rumänien ein. Dort wurde einer wie er gesucht, der neben dem bestehenden Gemüse- und Obstbau ein Tierhalteprojekt verwirklichte. Während der vier Jahre in Rumänien komplettierten nach einer längeren Kinderpause Tobias (2007) und Sophie (2009) die Familie. Bald rückte für die älteren drei Kinder die Berufsausbildung in greifbare Nähe. Die Rückkehr in die Schweiz drängte sich auf.Kulturschock
Monika erzählt schmunzelnd von der einen Regel, die sie bei jedem Umzug mit den Kindern zelebrierten: Jedes bekam eine Bananenkiste, darin mussten alle persönlichen Schätze Platz finden. Alles was grösser war – auch Fahrrad und Roller –, wurde verschenkt. Monika und Markus sagen, sie hätten den Kindern in diesen Phasen jeweils die Lektion vermittelt, dass Gott für sie auch am neuen Ort sorgen werde.
Für die Kinder war der Kulturschock gross, als sie von Rumänien in die Schweiz zurückkehrten. All diese Ansprüche, dieser Run auf Markenkleider! Das habe insbesondere ihre älteren Kinder Caroline, Nicolas und Vivianne äusserst genügsam gemacht. Als Familie wohnen sie in einer bescheidenen Altbauwohnung. Monika braucht keinen Luxus, viel wichtiger sind ihr Beziehungen zu Menschen, auch in der christlichen Gemeinde – egal, wo auf der Welt. «Aber», konstatiert Markus nachdenklich: «Wir sind mit unseren Ansichten, unserem Lebensstil manchmal schon ein bisschen Exoten.»
Verwurzelt in der Familie
Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung rutschte Caroline in eine Essstörung. Offensichtlich war sie überfordert mit all den Wechseln, die ihre Familie vollzogen hatte. Als Älteste funktionierte sie zwar, konnte aber nicht formulieren, wie es ihr dabei wirklich ging. Hier war Aufarbeitung notwendig.
Werden die jungen Erwachsenen heute gefragt: «Woher kommst du?», dann zögern sie. Wo ihre Heimat liegt, das wissen die Kinder der Amstutz' nicht. Umso stärker sind ihre Wurzeln im Familiengefüge verankert. Der 22-jährige Nicolas hat einen eigenen Umgang mit dieser Frage gefunden. Er betont, dass er Seeländer sei – so nennt sich die Region um Kerzers, wo Familie Amstutz seit neun Jahren sesshaft ist. Die beiden Kleinen, Tobias und Sophie, hingegen beneiden ihre grossen Geschwister manchmal um all die Abenteuer im Ausland.
Und Markus' Heimweh, das ihn schon seit Kindertagen furchtbar plagte, wurde nach ihrem Aufenthalt in Kanada von Gott geheilt. Heute stimmt er nicht mehr ein in das Lied der Schweizerband «Plüsch»: «I ha Heimweh nach de Bärge, nach em Schoggi und em Wy, nach de Wälder nach de Seeä u nach em Schnee.» Er kann sich sogar vorstellen, zusammen mit Monika später – wenn alle Kinder ausgeflogen sind – erneut seine Flügel auszubreiten und die Schweiz zu verlassen. Amstutz' sind eben ein bisschen Nomaden. Nomaden mit Wurzeln im Berner Jura.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in FamilyNEXT, Bundes-Verlag, Witten.Zum Thema:
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Autor: Helena Gysin
Quelle: FamilyNEXT