«Selbstbestimmung am Lebensende»
Zürich als Mekka der Suizidhelfer
Die Organisation Exit hat zu ihrem 30. Geburtstag Suizidhelfer aus aller Welt eingeladen. Der kanadische Lebensschützer Alex Schadenberg ist nach Zürich gereist, um in der Schweiz vor der zunehmenden Akzeptanz von Suizid zu warnen.
Die Schweiz steht mit der legalen Beihilfe zum Suizid ziemlich allein in der Staatengemeinschaft. Die Gesetzgebung, so die Exit-Präsidentin Saskia Frei, ist beneidenswert «liberal». Dabei jagen die Praktiken des Dignitas-Chefs Ludwig A. Minelli vielen kalte Schauer über den Rücken. Die Dignität, das Ansehen der Schweiz als lebensfreundliches Land, hat Schaden genommen.Weltkongress
In Zürich findet dieser Tage zum zweiten Mal nach 1998 der Kongress des weltweiten Verbands der Suizid-Organisationen statt, in dem Minelli gleich doppelt Mitglied ist (mit Dignitas Schweiz und Deutschland). Die meisten der 55 Mitgliedorganisationen treten unter dem Titel «Recht auf Sterben» für das Recht auf assistierten Suizid ein. Manche fordern die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe (voluntary euthanasia).«Selbstbestimmung am Lebensende»
In Deutschland ist Euthanasie seit 1945 politisch geächtet. In der Schweiz wird die Forderung nach aktiver Sterbehilfe nicht erhoben, denn Exit und Dignitas sind mit ihrem Spielraum zufrieden. Sie profitieren von der alten Schweizer Regelung, die keineswegs für Organisationen geschaffen wurde, und sie profilieren sich mit der Mission für die Selbstbestimmung des Einzelnen «im Leben und am Lebensende».
Justizministerin am Kongress
Stolz verweist Saskia Frei vor den Medien auf die 63‘000 Mitglieder, die der Verein Exit nach 30 Jahren hat. Die «Selbstbestimmung am Lebensende» sei nicht nur gesetzlich «anerkannt, sondern auch gesellschaftlich breit akzeptiert». Dass die Justizministerin Sommaruga den von Exit mitorganisierten Zürcher Kongress «beehrt», um die Zuschauerrolle des Bundes auf dem Feld der Suizidhilfe zu erläutern, verstärkt diesen Eindruck.
«Mission des Mitleids und der Grosszügigkeit»
Ted Goodwin, der Präsident des Weltverbands der «Right-to-Die-Societies», rühmt die Schweiz als «Leuchtfeuer» für seine Sache. Zur strahlenden Selbstdarstellung passt, dass Exit die «weltweit wichtigsten Fachleute» zum Zürcher Kongress eingeladen hat. Zürich als Dignitas-Sitz sei für seine Bewegung wie der «Ground Zero», bemerkt Goodwin und meint wohl die emotionale Verbundenheit seiner Landsleute mit dem New Yorker Gelände nach dem 11. September. Suizidhelfer hätten eine «Mission des Mitleids und der Grosszügigkeit».
Nein zur Euthanasie
Allerdings ist da ein Häuflein aufrechter Kämpfer, das am Ground Zero des Suizid-Kongresses, im selben Hotel in Oerlikon, den Medien alternative Gesichtspunkte darlegen. Christoph Keel, Leiter von Human Life International (HLI) Schweiz, führte Alex Schadenberg ein, den Leiter der weltweiten Koalition zur Abwehr von Euthanasie (Euthanasia Prevention Coalition, EPC). Der Kanadier betont, dass nur eine Handvoll Länder weltweit Suizidbeihilfe oder Euthanasie erlauben. Und er hebt die Gefahr für verletzliche Personen hervor. «Sie geben jemand unwiderruflich das Recht, an Ihrem Tod beteiligt zu sein», fasst er die Problematik der Euthanasie zusammen.Euthanasie in Westeuropa auf dem Vormarsch?
Schadenberg erwähnt Studien, wonach Hunderte Holländer und Belgier im Rahmen der Euthanasiegesetze ihrer Länder unter zweifelhaften Umständen starben. Zudem würden lange nicht alle Fälle von aktiver Sterbehilfe gemeldet. «Da kann man nicht von Schutz sprechen», folgert er. Zudem würden immer mehr Gründe für den Wunsch nach dem schnellen Tod angeführt, auch psychische Schmerzen und Depression. Und wenn die Umgebung etwas als Leiden sieht, dem man ein Ende bereiten könnte oder sollte?
Schadenberg, Vater eines behinderten Kindes, erwähnt, dass Behindertenorganisationen in den USA entschlossen gegen Euthanasie kämpfen. Er befürchtet, dass die französischen Sozialisten, mit François Hollande an die Macht gelangt, aktive Sterbehilfe nach Benelux-Vorbild legalisieren werden. Oregon, der einzige US-Bundesstaat mit legaler Suizidhilfe, verzeichne ein Drittel mehr Suizide als das Land insgesamt.
Der Staat muss das Leben schützen
Der Schutz des Lebens durch den Staat muss Vorrang haben, hält Roland Graf, Vizepräsident von HLI Schweiz, fest. Er dürfe «nicht den Interessen bestimmter Organisationen untergeordnet werden». Der Ethiker Andreas Näf (Ja zum Leben Zürich) warnt vor einem Dammbruch bei ethischen Werten. Dass Suizid als Option nicht nur für todkranke, sondern auch für lebensmüde Menschen hingestellt und propagiert wird, bezeichnet er als ungeheuerlich. Im Thurgau wurde die Palliativpflege mit einer Station im Spital Münsterlingen ausgebaut berichtet der Sohn der Lebensrechtlerin Marlies Näf-Hofmann. Damit habe man den Beweis erbracht, dass Todkranken und schwer Leidenden anders Beistand geleistet werden kann.
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet