Kriesenzeit
Von der Angst zur Freude
Jesus.ch: Wie kommt es dazu, dass Angst an der Lebensfreude nagt?
Rolf Lindenmann: Bedrohlich ist Angst vor Krankheit, vor Versagen, Angst, nicht zu genügen oder die Liebe von Menschen zu verlieren, Angst, kein Auskommen mehr zu haben. Solche Ängste sind wie ein Loch, das viel Kraft abzieht und mehr Energie braucht als Arbeiten.
Stellen Sie in den letzten Monaten mehr Angst fest?
Ich denke, die Finanzkrise machte Ängste bewusster. Nun kommt es sehr darauf an, wovon man lebt. Jesus brauchte einen Vergleich; er sprach vom Grund, auf den ein Haus gebaut wird: auf Sand oder auf Felsen. Krisensituationen machen bewusst, wovon wir leben. Jetzt erweist sich, was unsere Sicherheit ausmacht. Finanzielle Sicherheit allein ist zu wenig für unsere tieferen Bedürfnisse.
Lebensfreude in diesen Umständen – wie macht man das?
Bekanntlich wird geraten, positiv zu denken, Konflikte auszublenden, nur das Gute zu sehen und darauf zu warten, dass sich nach der Depression ein Aufschwung einstellt. Ich denke, das trägt auf die Dauer nicht. Die Frage ist: Habe ich ein Fundament, eine Geborgenheit, die nicht von Umständen abhängt? Das ist für mich eine Frage des Glaubens: Ich glaube, dass Gott mir einen Zuspruch gibt, durch den mein Leben in aller Unsicherheit gesichert ist. Deshalb kann ich wie König David sagen: «Auch wenn es durch ein finsteres Tal geht, bist du bei mir. Du schützt mich.»
Von den Umständen bestimmt zu leben, kann in schweren Zeiten krank machen. Oder man verlegt sich aufs Geniessen, wird oberflächlich, taucht ein in die Spassgesellschaft. Viele leben so – eigentlich ein Ausdruck von Hoffnungslosigkeit. Wer heute die Augen offen hat, muss fast zwangsläufig Angst bekommen, ausser er weiss, dass Gott ihn durchträgt – nicht ohne Schwierigkeiten, sondern gerade in ihnen.
In jeder Lage sollten wir etwas für die Freude am Leben tun …
Ja. Gerade wenn ich weiss: Mein Leben hat einen Wert, weil ich ein Geschöpf Gottes bin, muss ich mich nicht mehr verkrampfen, kann ich mich zurücklehnen, muss nicht verbissen ums Überleben in dieser Welt kämpfen. Das nimmt einen nämlich gefangen. Viele rackern sich ab und brennen aus. Ich meine, wer sich von Gott gesichert weiss, behält einen kühlen Kopf und kann besser in Möglichkeiten denken und handeln: Möglichkeiten zum Feiern und Geniessen, aber auch zum Nutzen von schwierigen Situationen.
Wer Angst hat oder gar in Panik gerät, findet im Allgemeinen keinen guten Weg. Gottvertrauen hilft, in herausfordernden Situationen gut zu reagieren – innerhalb der Möglichkeiten. Man kann immer die Wolke sehen – oder die Sonne, das halbleere oder halbvolle Glas. Nach meiner Erfahrung macht echter Glaube nicht blind, sondern realistisch.
Wie nährt man den Glauben, so dass Lebensfreude aufkommt?
Dies hat mit Beziehungen zu tun, weniger mit irgendeinem Krampf oder Routinehandlungen. Ich versuche den Alltag mit Gott zu leben – auch in guten Zeiten, nicht erst, wenn es mir schlecht geht. Ich erwarte, dass Gott mich leitet, im Umgang mit meinen Mitmenschen, der Arbeit und mir selbst. Ich suche ein Mass für den Umgang mit meinen Stärken und Schwächen. Glaube ist primär Beziehung. Da wächst Vertrauen, von dem ich hoffe, dass es auch in schwierigen Zeiten trägt.
Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch