150. Todestag von Jeremias Gotthelf
„Ich wiederhole Ihnen, Herr Pfarrer, in Berlin haben Sie viele Freunde“, schrieb vor der Berliner Verleger Julius Springer an Albert Bitzius, alias Jeremias Gotthelf. Was der Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Lützelflüh im bernischen Emmental von sich in seiner Heimat nicht unbedingt behaupten konnte, denn das Buhlen um Beliebtheit gehörte nicht zu seinen Tugenden.
Was ihn auszeichnete, war seine Sprachgewalt, seine Verbundenheit mit den Menschen und ebenso seine tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben. Als 1831 die Berner Verfassung für Geistliche ein Verbot aussprach, sich politisch zu betätigen, beschränkte sich Bitzius als rühriger Zeitgenosse nicht mehr aufs Predigen in der Kirche, sondern begann im Alter von 40 Jahren mit dem „Bauernspiegel“ seine Schriftstellerkarriere. „In dieses Gebiet ritt ich aber ohne Theorie und Plan wie ein kecker Husar in Feindesland, der auf alles haut, was ihm vor den Säbel kommt, der das Beste nimmt von dem, was ihm in die Augen fällt.“ Worte, ob in der Kirche gesprochen oder in Büchern geschrieben, sie sollten ihm dazu dienen auf Menschen einzuwirken.
Soziales Engagement
Bitzius’ soziales und politisches Engagement war geprägt von den Themen Schule („Leiden und Freuden eines Schulmeisters“), Armenwesen („Der Bauernspiegel“), Geld („Geld und Geist“) und immer von der Familie als Kern der Gesellschaft. Er verarbeitete diese Inhalte in seinen Büchern und prangerte Missstände in einer volkstümlichen, kräftigen, originellen Sprache an. „Man behauptete“, so Gotthelf später selber, „durch solche Bücher werde das Volk verderbt, es sei nicht wahres Christentum darin, das Laster zu wenig verhüllt, zu wenig gestraft, fast Freude am Unsittlichen gezeigt, andern Ständen sei zu sehr die Wahrheit gesagt, das Volk fast aufgehetzt, dazu sei alles in unausstehlicher Breite und dazu die Sprache ein Mischmasch, das sich kaum lesen lasse.“
Bitzius schrieb in einer vorher nicht gekannten Deutlichkeit von seinen Zeitgenossen und es ging ihm nicht in erster Linie um die Schilderung von ländlicher Lebensweise, sondern um die Zeitkritik aus der Kraft der biblischen Botschaft heraus. Für Gotthelf gab es keine Erziehung ohne Gott und keinen Weg ohne das Mittlertum von Christus.
Der Volksschriftsteller
Er bezeichnete sich als Volksschriftsteller. Doch nicht im Sinn, wie das später im 20. Jahrhundert wahrgenommen wurde, nämlich Gotthelf als der folkloristische Heimatveredler, der das Leben auf dem Lande schönfärbte. Er selber nannte drei Eigenschaften, die ein Volksschriftsteller haben sollte: „Vor allem muss er das Leben, welches er beschreiben will, kennen aus eigener Anschauung, sonst mischt er die Farben schlecht ...“ Zweitens: „Derselbe muss ferner getaucht sein in den allenthalben vorhandenen Volkshumor. Das Volk will lachen und weinen.“ Und schliesslich: „Neben dem Humor muss aber die heilige Liebe zum Volke wohnen. Das Volk muss es in jedem Worte fühlen, dass der es geisselt nicht aus Bosheit, sondern aus innigem Erbarmen.“ Und Letzteres war ihm ohne Zweifel ein grosses Anliegen, denn bei aller Deftigkeit und Strenge, mit der er den Menschen zu Leibe rückte und sie von innen heraus ausleuchtete, blieb doch immer die Ahnung des von Gott geliebten Menschen.
Den Glauben verinnerlichen
Für Gotthelf endete der christliche Glaube nicht im sonntäglichen Kirchgang oder in einer wöchentlichen Gebetsstunde. Der Mensch sollte das Evangelium der Bibel verinnerlichen – „d’Gschrift is Herz ychenäh“ – und so den Alltag leben. „Christus ... will nicht hoch oben schweben, jedes Herz soll seine Krippe sein.“ In diesem Sinn hatte er durchaus auch eine innere Nähe zum Pietismus.
Was ihn eindeutig unterschied, war seine Vorstellung der christlichen Gemeinde. Für ihn durfte die Kirche nicht vom Staat getrennt werden, denn sonst verlöre der Staat sein Fundament. Und vor allem konnte die christliche Gemeinde nicht in solch abgeschlossener Form stattfinden, wie dies die pietistischen Gruppierungen zu tun pflegten, beurteilt Ulrich Knellwolf, Pfarrer, Schriftsteller und Gotthelfkenner Bitzius’ Verständnis vom Leib Christi. Er betont, für Gotthelf habe die christliche Gemeinde etwas beinahe „Unanschauliches“ gehabt, sie sei sehr offen gewesen. Er sei von der Mündigkeit jedes einzelnen Christen ausgegangen. Und in der Verbundenheit, welche Gott mit den Menschen durch Christus gezeigt habe, so Knellwolf, drückte sich für Bitzius die Verantwortung des Pfarrers aus, ebenso Verbundenheit mit jedem Menschen zu zeigen und sich nicht in einer engen Gemeinschaft abzugrenzen.
Ohne soziales Erbarmen kein echter Glaube
Die Zelle der Gemeinde ist die Familie, dort soll sich das christliche Leben üben. Dazu sein viel zitierter Satz: „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“ Das konkrete soziale Engagement für Gotthelf war als Ausdruck der Nachfolge in Christus entscheidend. Ohne soziales Erbarmen gab es keinen echten Glauben. Knellwolf umschreibt Gotthelfs Anliegen so: Der Theologe soll vom Bauern aus „dem Buch des Lebens, der Natur“ lernen und der Bauer vom Pfarrer „vom Buch der Bibel“, damit beide schlussendlich diese zwei Bücher verbinden könnten.
Albert Bitzius, alias Jeremias Gotthelf, kam 1797 als Pfarrerssohn in Murten zur Welt und starb am 22.10.1854 in Lützelflüh. Nach politischem Engagement für den Liberalismus, unter anderem auch für die Gleichstellung der bernischen Landbevölkerung, setzte er sich ab 1831 als Pfarrer in Lützelflüh für die Belange seiner Mitbürger ein. Neben seiner Tätigkeit als Pfarrer hinterliess er ein umfangreiches literarisches Werk. Gotthelf zählt neben Gottfried Keller zu den bedeutendsten Schweizer Schriftstellern des 19. Jahrhunderts.
Autorin: Barbara Walder
Quelle: idea Schweiz