Wenn man Gott verliert

Tamar Noort: «Die Ewigkeit ist ein guter Ort»

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Tamar Noort (Bild: Ali Ghandtschi)
Wie ist das, wenn man Gott verliert? Die Pastorin Elke macht diese Erfahrung nicht langsam, Stück für Stück, sondern sehr plötzlich. Gleichzeitig merkt sie, dass dies viel mit ihrer Vergangenheit zu tun hat, mit ihrer Familie, mit Leben und Tod.

Auf dem Buchcover von Tamar Noorts Roman «Die Ewigkeit ist ein guter Ort» geht eine Frau tastend vom Betrachter weg auf einem Hochseil voran. Schafft sie es, ans Ziel zu kommen, das ausserhalb des Bildes liegt? Oder wird sie ins Nichts stürzen? Es ist ein gutes Bild für das, was das Buch ausmacht: dass die Frage nach Gott existenziell ist, dass sie sich gar nicht so einfach beantworten lässt und dass sie in der Praxis sehr ergebnisoffen sein kann.

Gottdemenz

Elke betet das Vaterunser, aber der Text fällt ihr nicht mehr ein. Für normale Menschen ist das kein Beinbruch, aber Elke ist Pastorin und sitzt am Sterbebett einer Frau aus dem Seniorenheim. Ihre erste Angst ist: Ich werde dement. Sie versucht, ein Gedicht aufzusagen: «Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben…» Der Zauberlehrling und viele andere Gedichte funktionieren einwandfrei, nur das Vaterunser bekommt sie nicht über die Lippen – wie überhaupt Gebete, geistliche Lieder und auch ihre nächste Predigt. Vielleicht ist es Gottdemenz, fragt sie sich, aber gibt es so etwas überhaupt? Während ihr das vertraute Leben, der Glaube und die berufliche Zukunft zwischen den Fingern zerrinnt, meldet sich ihr Vater mit seiner alten Bitte bei der Dreissigjährigen, endlich seine Nachfolge anzutreten – als Pastorin.

Mit diesem Setting beginnt «Die Ewigkeit ist ein guter Ort». Und das Buch liest sich süffig, flüssig, gekonnt. Man möchte nicht mehr aufhören zu lesen, wenn Tamar Noort mit Worten beschreibt, wie einer Pastorin alle Worte fehlen, die sich mit dem «lebendigen Wort» beschäftigen. Aber geht es wirklich nur um Jesus und den Glauben? Oder nicht auch um die eigene Geschichte und all die Sprachlosigkeit, die sich darin angesammelt hat wie der Schmodder, der den Siphon unter dem Waschbecken komplett verstopfen kann?

Gottesbild

Man muss nicht fromm sein, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen, aber gerade für Menschen, die eine enge Verbindung mit Gott pflegen, ist es eine nachvollziehbare Katastrophe, ihn im Alltag zu verlieren. Denn Noorts Buch ist keine philosophische Abhandlung über Gottesferne. Sie beschreibt sie so intensiv, dass es wehtut, und gleichzeitig sind da immer wieder diese Schmunzelbrücken, zum Beispiel als Elke versucht, Röschen, einer Seniorin, ihre Situation zu erklären: «Ich kann Gott nicht behalten», erklärt sie ihr und erntet als trockene Antwort: «Wie solltest du ihn behalten können, er gehört dir doch gar nicht.»

Im Verlauf des Buchs werden unfromme Menschen vorgestellt wie Jan, Elkes Freund, der sich und sein Leben vollständig im Griff hat, oder Lukas, ein Steilwandfahrer, der auf dem Motorrad sein Leben riskiert. Doch lebendiger und tiefgründiger sind die Beziehungen zu den Menschen, die ein traumatisches Kindheitsereignis mit Elke teilen, das erst im Laufe der Handlung an Gestalt gewinnt. «Wie konnte Gott das zulassen?», ist dabei die eine beherrschende Frage. Die andere wird Elke beiläufig von einer Kollegin gestellt: «Aber dass du nicht an Gott glauben musst, um eine gute Pastorin zu sein, das weisst du, oder?» Beide Fragen bringen Elke nicht ans Ziel, aber sie bringen sie voran – wie sie uns als Lesende einladen, genau darüber nachzudenken. Was wäre, wenn ich so etwas erlebt hätte?

Gott – aber nicht nur

«Die Ewigkeit ist ein schöner Ort» ist ein lesenswertes Buch. Prägnante Gedanken und eine wunderschöne Sprache machen es aus, aber eben auch, dass sein Ziel nicht ist zu bekehren, sondern zu unterhalten. Es bleibt ein leichtes Buch mit tiefen Passagen. An keiner Stelle wirkt die Handlung so, als hätte Noort sie ein wenig zurechtgebogen, damit sie noch in irgendwelche religiösen Zielvorgaben passt. Stattdessen begegnen wir Menschen mit Brüchen. «Gott, das sind vier Buchstaben, die die Welt bedeuten können, aber keinesfalls müssen», heisst es an einer Stelle im Roman. Beim Lesen bleibt es einem selbst überlassen, ob man sich auf ihn einlassen möchte oder nicht. Aber die Einladung steht, sich einem Leben mit Brüchen zu stellen, so wie es kein Evangelist ausdrückt, sondern der Sänger Leonard Cohen:

Ring the bells that still can ring (Läute die Glocken, die sich noch läuten lassen)
Forget your perfect offering (Vergiss dein vollkommenes Opfer)
There is a crack, a crack in everything (Da gibt es einen Riss, einen Riss in allem)
That’s how the light gets in (Dadurch kommt das Licht herein)

Kann es sein, dass Gottes Licht, seine Liebe und Gegenwart, gerade durch die Brüche unseres Lebens hineinscheint? Durch die unbewältigte Vergangenheit? Oder den Umgang mit einem völlig verrückten Papagei?

Das Buch

Ich habe in letzter Zeit nichts gelesen, das mit so leichter Hand derart schön formulierte und inspirierende Gedanken weitergegeben hat, wie Tamar Noorts «Die Ewigkeit ist ein schöner Ort». Für mich persönlich bekommt das Buch sechs Sterne auf einer Skala, die bis fünf reicht. Darin ist so viel Liebe, Sehnsucht, Trauer, Leben, Tod, Zweifel und immer wieder wachsendes Vertrauen enthalten. Es stimmt: «Die Ewigkeit ist ein guter Ort» – jedenfalls, wenn sie hier und heute beginnt und nicht in einer fernen Zukunft.

Tamar Noort (46) studierte Kunst- und Medienwissenschaften sowie Anglistik in Oldenburg und Newcastle upon Tyne und absolvierte die Masterclass Non-Fiction an der Internationalen Filmschule Köln. Seit 2009 arbeitet sie an verschiedenen Dokumentationen für Arte, das ZDF und 3sat. «Die Ewigkeit ist ein guter Ort» ist ihr Romandebüt, mit dem sie bereits wichtige Literaturpreise gewann. Sie lebt in der Nähe von Lüneburg. Eine Leseprobe finden Sie hier.

Tamar Noort: Die Ewigkeit ist ein guter Ort, Kindler, 304 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-463-00034-3. SFr 33,90 / Euro 22,00.

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Datum: 23.11.2022
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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