CSI-Bericht von John Eibner
Optimismus der Christen in Syrien schwindet
John Eibner von der Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI) reist regelmässig nach Syrien. Auf seiner letzten Reise hat er mit Flüchtlingen aus der Stadt Idlib gesprochen, die Ende März 2015 von den Rebellen eingenommen wurde. Hier berichtet er, was ihm ein Christ und eine Muslimin von ihrer Begegnung mit den Rebellen erzählt haben und wie es ihnen gelang, aus Idlib zu flüchten.
Die Hälfte der Bevölkerung ist auf der Flucht (11 Millionen), über 200'000 Tote – das ist die traurige Zwischenbilanz des syrischen Kriegs, der sich nun schon über vier Jahre hinzieht. Vor einigen Monaten schienen die Regierungstruppen im Kampf gegen die Rebellen auf dem Vormarsch zu sein. Inzwischen versuchen die Verbündeten der USA – das NATO-Mitglied Türkei sowie Saudi-Arabien und Katar vom Golf-Kooperationsrat – die verschiedenen islamistischen Rebellengruppen im Kampf gegen die syrische Regierung zu einen. Mit Erfolg, wie die Stadt Idlib zeigt. «Das strategische Ziel der Türkei, Saudi-Arabiens und Katars scheint ein sunnitischer Staat («Sunnistan») zu sein, der von Mosul bis an die Mittelmeerküste reicht», sagt Dr. John Eibner, bei CSI verantwortlich für den Nahen Osten. «So könnten die neuen Machthaber irakisches Erdöl direkt exportieren.» John Eibner reiste im Mai 2015 nach Syrien und hat mit Flüchtlingen aus Idlib gesprochen.Knapp dem Tod entronnen
Der christliche Flüchtling Khalil (Name geändert) erzählt: «Wir waren etwa 1'300 Christen in Idlib. Jetzt sind nur noch zwei übrig geblieben: eine alte Frau und ein alter Mann. Bevor der Krieg begann, hatten wir ein gutes Leben. Wir waren zwar eine kleine Minderheit, aber im Grossen und Ganzen respektiert. Ich führte ein Geschäft, viele Christen waren beruflich gut situiert.
Die Krise begann mit Demonstrationen nach dem Freitagsgebet. Anfänglich skandierten die Demonstranten noch Parolen wie «Muslime und Christen gemeinsam gegen das Regime». Aber sehr bald begannen sie, uns zu belästigen, ganz besonders die Frauen.»
«Ich bin Lehrerin», wirft Khalils Frau ein. «Sie forderten mich auf, nicht mehr in Jeans zur Schule zu gehen, sondern mit einem Hidschab. Ich wollte das nicht und wechselte an eine andere Schule.»
Khalil erzählt weiter: «Der erste Christ, ein reicher Juwelier, wurde am 14. Februar 2012 von Bewaffneten getötet. Sie griffen auch Behörden und Polizisten an. Im März 2012 marschierte die Armee ein. Es gab jedoch immer wieder Kämpfe, viele Bewohner verliessen Idlib. Als die Rebellen Idlib im März 2015 einnahmen, waren wir nur noch etwa 400 Christen. Die Rebellen gingen mit Vorschlaghämmern und Maschinengewehren von Haus zu Haus und schlugen Löcher in die Wände. Sie töteten zwei meiner Verwandten, die Alkohol verkauften, und hinderten uns daran, sie zu beerdigen. Ich wollte mit meiner Familie und anderen Christen flüchten. Doch als sie am Checkpoint herausfanden, dass wir Christen sind, nahmen sie uns fest und führten uns zu einem Emir mit einem grossen Schwert. Ich dachte, wir würden getötet. «Ihr seid Ungläubige», sagte er uns. Er beschimpfte unsere Religion und forderte uns auf, zum Islam zu konvertieren. Dank der Fürsprache eines Studenten, der in unserer Gruppe seinen Professor erkannte, wurden wir freigelassen und zurück nach Idlib gebracht. Am nächsten Tag gelang uns mit der Hilfe einiger Muslime die Flucht.»Christen verlieren Hoffnung
«Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht», sagt John Eibner. «Während der Krieg weitergeht, verlieren mehr und mehr Christen die Hoffnung, in ihrer Heimat bleiben zu können.» Am Anfang des Konflikts habe er die syrischen Christen noch als optimistischer wahrgenommen als jene im Irak. Aber jetzt werde auch in Syrien die Verzweiflung immer grösser, besonders unter jüngeren Leuten. «Gleichzeitig schliessen sich mehr und mehr Christen, die ihre Zukunft in Syrien sehen, christlichen Milizen an, um gegen die Rebellen zu kämpfen.»
Der syrische Krieg hatte von Anfang an religiös-ausgrenzende Züge, nicht zuletzt weil Präsident Assad selber einer religiösen Minderheit (den Alawiten) angehört. Christen und Alawiten sind besonders unter Druck, aber auch sunnitische Muslime flüchten zu Hunderttausenden in Gebiete, die noch von der Regierung kontrolliert werden.
«Das ist nicht der Islam, wie ich ihn verstehe»
Die muslimische Flüchtlingsfrau Fatima (Name geändert) stammt aus Aleppo. Sie lebte jedoch seit dem Jahr 2000 in Idlib, wo sie als Krankenschwester arbeitete. Ihr Mann starb, ihr Sohn ertrank auf der Flucht nach Griechenland. Sie hat zwei Töchter. Fatima erzählt: «Wir gehören in diesem Konflikt zu keiner Seite. Wir gehören einfach zu Syrien. Bevor der Krieg begann, war es in Idlib sehr gut. Die ersten Demonstranten kamen aus den umliegenden Dörfern und wurden fürs Demonstrieren bezahlt. Anfänglich waren die Demonstrationen friedlich, dann bekamen die Rebellen Waffen und begannen, Menschen zu töten. Die Schuld gaben sie der syrischen Armee, die damals aber noch gar nicht in der Stadt war.Die Rebellen, die Idlib Ende März 2015 attackierten, stammten aus allen möglichen Ländern. Ich sah sogar Kinder Waffen tragen. Die Rebellen hatten eine Liste mit Namen von Personen, die getötet werden sollten. Bei den meisten war der Grund, dass sie für die Regierung waren. Einer meiner Freunde, ein Lehrer, war auf der Liste und wurde erschossen. Etwa 90% der Bewohner sind aus Idlib geflüchtet, die meisten in die Türkei.
Ich verliess Idlib mit meinem Cousin, der ein Auto hatte. Nach meiner Flucht wurde mein Haus von den Rebellen besetzt und geplündert. Dabei hatte ich geplant, mein Haus zu verkaufen, um meiner Tochter ein Medizinstudium zu ermöglichen. Jetzt ist es zu spät. Ich mache mir auch Sorgen um langjährige christliche Nachbarn. Ich bin Muslimin, aber die Religion dieser Rebellen ist nicht der Islam, wie ich ihn verstehe. Ich verabscheue die Salafisten und will nicht unter ihrer Herrschaft leben.»
Zur Webseite:
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Autor: Adrian Hartmann
Quelle: Livenet.ch / CSI
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