Peter Schneeberger

«Was wäre, wenn Versöhnung plötzlich um sich greifen würde?»

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Peter Schneeberger (Bild: Facebook)
Peter Schneeberger besucht als Präsident der Freien Evangelischen Gemeinden (FEG) und des Dachverbands Freikirchen.ch jedes Jahr viele Kirchgemeinden persönlich. Im Interview erklärt er, wie Christen jetzt glänzen können.

Wie sind Sie nach dem Ende der Corona-Massnahmen ausgerechnet auf Frank Buchmann gestossen?
Peter Schneeberger: Ich kenne Frank Buchmann von meinem Studium her sehr gut. Ich habe alle seine Reden verschlungen und war ein «Anhänger» seiner Lehren. Am 25. Februar 2022, einen Tag nach dem verheerenden Kriegsausbruch in der Ukraine, bin ich an den Genfersee gereist. Der Ausbruch des Krieges hat mich verstört. Ich brauchte Ruhe und darum habe ich eine Sehenswürdigkeit mit weltpolitischer Ausstrahlung besucht: das Grand Hotel im kleinen Dorf Caux. Die besten Zeiten hat das Hotel längst hinter sich. 1947 bekam dort der erste Bundeskanzler von Deutschland, Konrad Adenauer, entscheidende Impulse für die Versöhnung mit Frankreich. Er nahm an der vom freikirchlichen Pastor Frank Buchmann geleiteten christlichen Konferenz teil.

Was ist dann geschehen?
Als ich oberhalb des Genfersees auf einer Parkbank sass, rechts von mir die «Brutstätte des Friedens», das Grand Hotel und vor mir der wunderschöne Blick auf den Genfersee und die Alpen, da fing ich an zu träumen. Ich habe angefangen, mit Gott zu reden. Ich habe ihm meinen Zorn über die Invasion Russlands mitgeteilt. Ich habe ihm das Leid der Zivilbevölkerung, sowohl in der Ukraine wie auch in Russland geklagt. Und dann habe ich ihn gebeten, dass er Menschen beruft, die zur Versöhnung aufrufen und auch leben können. Was wäre, wenn die Versöhnung plötzlich um sich greifen würde?

Wieso sind Menschen unversöhnlich?
Unversöhnlichkeit heisst: mit offenen Rechnungen leben. Mit dem habe ich noch eine Rechnung offen. Die beste Nachricht aller Zeiten ist: Die offenen Rechnungen sind alle bezahlt! Es ist längst abgerechnet. Du brauchst niemand etwas nachzurechnen, zu brauchst nicht aufrechnen. Alles ist bezahlt! Wir müssen auch zur Corona-Krise diese Prozesse der Aufarbeitung sauber machen. In jeden Veränderungsprozess gibt es das Bedürfnis der Trauer. Wir leben aber in einer Gesellschaft, die Trauer kaum noch zulassen kann. Die Ereignisse überlagern sich mit grosser Geschwindigkeit. Von der Corona- in die Ukraine-Krise und vielleicht bald mit grosser Geschwindigkeit in die Finanzkrise. Weil sich die Ereignisse in hoher Geschwindigkeit überlagern, übergehen wir die Aufarbeitung unverarbeiteter Trauer und Schmerz suchen ihre Entlastung in Schuldzuweisungen, Zorn oder anderen Formen. Wird nicht reflektiert und bewusst getrauert, werden sich die unverarbeiteten Elemente in der nächsten Krise verstärken. Zugleich passieren in jeder Krise auch Fehler, aus den man lernen kann und sollte. Das braucht auch ehrliche Reflexion und hier und da auch konkrete Vergebung und Versöhnung.

Kommt Versöhnung auch durch den Gottesdienst?
Wenn man an anderen Menschen schuldig geworden ist, dann ist der Gottesdienst oder das Gebet der Ort, wo der Heilige Geist uns an die Schuld erinnert. Die Bibel macht deutlich, dass für unversöhnte Geschwistern kein rechter Gottesdienst möglich ist. Christus sagt, dass derjenige, der sein Opfer zum Altar bringt und sich erinnert, dass ein Bruder etwas gegen ihn, selbst hingehen soll. Jesus betont also, dass die Versöhnung sogar Vorrang vor dem Gottesdienst hat. Wem es also bewusst ist, dass er einem andern Unrecht getan hat, der ist verpflichtet, selbst die Initiative zu ergreifen. Darum lade ich alle ein: Gehe zu deinem Bruder oder zu deiner Schwester und erzähle, dass du Unrecht hattest. Bring die Sache in Ordnung.

Paulus lädt dazu ein: «So viel an euch liegt, haltet mit allen Menschen Frieden.» Ist das möglich?
Vergeben führt nicht automatisch zur Versöhnung. Vergebung macht uns versöhnungsbereit. Wir können uns nicht mit jemand versöhnen, der es nicht will. Versöhnung bedeutet: Gott führt zwei Menschen, die sich innerlich voneinander entfernt haben, an einen Punkt, an dem sie sich offen begegnen können. Weil solche Versöhnungsmomente oft ein bisschen peinlich sind, muss man nach der Versöhnung dranbleiben und gemeinsame Erlebnisse machen. Man sollte immer sofort etwas Konkretes tun, um neues Verhalten einzuüben.

Einladung zu Austausch und Versöhnung

Am Freitag, 16. September 2022, trifft sich die Leiterkonferenz des Dachverbandes Freikirchen.ch für eine Tageskonferenz in Bern. Im Anschluss an die Konferenz lädt Freikirchen.ch Christen ein, mit den Leitern zusammen die Krisen und ihre Bewältigung in einem Austausch anzusprechen und die ersten Schritte der Versöhnung zu gehen. Weitere Informationen und die Anmeldung finden sich hier.

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Datum: 19.07.2022
Autor: Markus Baumgartner
Quelle: Dachverband Freikirchen

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