«Trauercafé»

Trümmer sortieren nach dem Erdbeben

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Maria Weber und Peter Schwab (Bild: zVg)
Um Menschen zu helfen, in ihrer Trauer neuen Mut zu schöpfen, hat das Alterszentrum Sumiswald (sumia) ein «TrauerCafé» eingerichtet.

Die Gründung des TrauerCafés sei auf die Initiative von Maria Weber erfolgt, stellt der Trachselwalder Pfarrer Peter Schwab gleich zu Beginn des Gesprächs mit «Hope» klar. Tatsächlich wäre das Pionierprojekt ohne deren Impulse und die Offenheit der sumia-Geschäftsleitung kaum zustandegekommen. Ursprung dafür sind Verlusterfahrungen im persönlichen und beruflichen Umfeld der Initiantin. In einem kleinen Kreis wurde praktiziert, was als Hauptanliegen nachher im TrauerCafé umgesetzt werden konnte: in einem geschützten Rahmen gemeinsam Gefühlen, Erfahrungen, Erinnerungen und Fragen Raum und Zeit schenken und nach Antworten suchen.

Braucht es ein TrauerCafé?

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Eingang zum Trauercafé (Bild: zVg)
2019 fiel der offizielle Startschuss für das TrauerCafé. Einmal pro Monat treffen sich seither Menschen zum Gespräch unter dem Motto «Gemeinsam aushalten, was fast nicht auszuhalten ist». Im Durchschnitt besuchen zwölf Personen das TrauerCafé. Schon beim ersten Treffen entwickelte sich ein reger Gedankenaustausch. Dabei stehe nicht im Vordergrund, Hoffnung zu vermitteln, wirft Peter Schwab ein. «Ein Verlust weckt intensive Gefühle, Fragen, Unsicherheiten, Zukunftsängste, welche bewusst wahrgenommen, angesprochen und hinterfragt werden wollen. Allfällige Antworten und Erkenntnisse können eine neue Perspektive eröffnen und im besten Fall erste Hoffnungsstrahlen vermitteln.»

Betroffenheit vereinfacht Zugang

Bei der Begleitung von Menschen, die einen Verlust zu verkraften haben, helfen Maria Weber auch ihre eigenen Erfahrungen. Vor Jahren verlor sie ihren 15-jährigen Sohn nach einem Arbeitsunfall während einer Schnupperwoche. Diese persönlich durchlebte Verlusterfahrung war für sie ein zusätzlicher Antrieb, sich in diesem Bereich weiterzubilden und zu engagieren. Ihr Mann und sie wurden in der Folge sogar Mitglieder des Care Teams. Nicht selten höre sie von Teilnehmern im TrauerCafé die Rückmeldung, dass sie wohl eine eigene Geschichte habe. Darauf sagt sie: «Eigene Erfahrungen schaffen Zugang zu anderen Herzen und wirken wie ein Türöffner.»

Sechs Fragen

Was sage ich jemandem, der am Trauern ist? Oft fehlen uns die richtigen Worte, um mit einer Person in Kontakt zu treten, die einen schweren Verlust erlebt hat. Hilflosigkeit macht sich breit. Was empfehlen die Trauerbegleiter?

Welches sind die richtigen Worte, um eine trauernde Person anzusprechen?
Maria Weber: Zum Einstieg frage ich die Person meistens, wie sie zurechtkommt, wie sie den Tag durchstehen kann. Eine Frage könnte sein: «Wie kannst du es im Moment aushalten?» Verzichten würde ich eher auf die allgemeine Frage «Wie geht es dir?»
Peter Schwab: Und bitte unbedingt auf Vertröstungen verzichten à la «Ja ja, das kommt dann schon gut, es kommen wieder andere Zeiten. Zeit heilt Wunden…» Solche Zusprüche sind zwar gut gemeint, verfehlen aber meistens die Wirkung. Im Gegenteil: Sie sind eher kontraproduktiv.

Wie kann man mit den ganzen Gefühlen umgehen?
Peter Schwab: Es gilt, die Gefühle auszuhalten. Wichtig ist, dass die Trauer zugelassen wird, sonst kann das massive gesundheitliche und psychische Konsequenzen haben. Vielleicht erst Jahre später, wenn die Verlusterfahrung bereits längere Zeit zurückliegt.
Maria Weber: Eine trauernde Person braucht keine Ratschläge oder Lösungen, sondern jemanden, der zuhört. Der Verlust eines geliebten Menschen ist wie ein grösseres oder kleineres Erdbeben, das diese Person selbst erlebt. Da stehen wir vor einem Trümmerhaufen. Bevor wir wieder ein Lebenshaus aufbauen können, müssen wir zuerst die Trümmer wegräumen. Das ist Schwerarbeit. Als Trauerbegleiter helfen wir den Menschen, Trümmer zu sortieren.

Inwiefern kann der Glaube eine Ressource bei der Verarbeitung eines Verlusts sein?
Peter Schwab: Der Glaube kann mit Sicherheit nicht schnell trösten. Eine Betroffene bekannte nach einem Verlust offen, der Glaube sei ihr abhandengekommen. Wenn sich das Herz einsam, verlassen und traurig fühlt, bringt es nichts, sich mit «der liebe Gott weiss schon, was er macht» oder ähnlichen Sätzen zu beruhigen. Man sollte also keine falsche Abkürzung nehmen, sondern zuerst das Klagen zulassen. Der Glaube bietet uns in diesem Fall aber ganz klar Ressourcen.

Wie kann eine Person nach dem Verlust praktische Schritte in dieser neuen Realität gehen?
Maria Weber: Wichtig ist, genau hinzuschauen und hinzuhören und auch Gefühle wie Anklage, Wut, Schuldgefühle, Scham usw. zuzulassen. Dann geht es auch darum, sich mit der neuen Rollenfindung auseinanderzusetzen. Jeder Verlust verlangt, dass ich mich neu organisiere, Fertigkeiten erwerbe und in die neue Rolle hineinwachse.

Das Trauern einer Person beeinflusst auch ihr ganzes Umfeld. Welche Spannungsfelder zeigen sich hier?
Peter Schwab: Von Trauer betroffene Menschen haben in unserem System einen schweren Stand. Wir sind es nicht gewohnt, mit Trauernden umzugehen. Man will lieber sonnige Tage, aber wehe es kommt ein Gewitter. Unsere Gesellschaft trimmt uns darauf, immer zu funktionieren. Gerade die Männer haben gelernt, immer stark zu sein und fühlen sich besonders hilflos bei Verlusterfahrungen. Ich habe schon erlebt, wie Männer aufgrund ihrer Hilflosigkeit auf den Besuch der todkranken Mutter im Spital verzichteten. Das ist tragisch. Oft würde es nur schon genügen, einfach da zu sein und die Person in den Arm zu nehmen.

Zum Schluss: Wer hat bisher vor allem an den TrauerCafés teilgenommen?
Maria Weber: Grösstenteils sind es Frauen zwischen 40 und 80 Jahren, die den Verlust ihres Partners, der Gesundheit oder auch ihres Jobs zu beklagen hatten. Geografisch haben wir Gäste aus der ganzen Region Emmental/Oberaargau.

Wie läuft ein typischer Abend im «TrauerCafé» ab?

Die Gäste werden im Foyer empfangen. Der Weg zum Raum ist mit Hinweisen auf das Abendthema gespickt, ein geschmückter Torbogen markiert den Eingang. Im Zentrum des Sitzkreises ist eine themenspezifische Raumdekoration gestaltet. Erste Vermutungen zum Thema werden ausgesprochen. Die Teilnehmenden werden ins Thema hineingeführt. Nach der Begrüssung im Plenum erfolgt eine kurze Vorstellungsrunde und es werden wichtige Grundsätze in Erinnerung gerufen: Vertraulichkeit, Schweigepflicht, keine Wertungen und Ratschläge. Ein fachlicher Input liefert Hintergrundinformationen und Orientierung zu spezifischen Themen der Trauer wie zum Beispiel: Loslassen, Tränen, Abschied, Enttäuschung, Wut, Schuldgefühle, besondere Anlässe wie Fest- und Gedenktage oder Ähnliches.

Der Hauptteil des Abends besteht aus einem Erfahrungsaustausch in Gruppen. Mit einem Ritual finden Gedanken, Worte und Gefühle einen kreativen Ausdruck. Gemeinsames Kaffeetrinken rundet den Abend ab.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Hope Emmental

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Datum: 05.07.2022
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Hope-Zeitungen

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